Mai 2023

230501

ENERGIE-CHRONIK


 

Der monatliche Großhandelspreis für Strom lag am 29. Mai bei 77,45 Euro pro Megawattstunde (volumengewichtet). Das entsprach ungefähr dem Niveau vom Juni 2021. Er war aber noch immer doppelt so hoch wie in sämtlichen Jahren von 2002 bis 2020. Auffällig ist dabei, dass schon 2021 ein rasanter Anstieg einsetzte, der dann zwei Monate lang wieder nachließ, bevor er im März 2022 infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine einen neuen Höhepunkt erreichte. Da die Gazprom ihre Lieferverpflichtungen zunächst noch halbwegs erfüllte, kam es im April erneut zu einem Rückgang. Nachdem sie aber auf Weisung des Kreml die Gaslieferungen sukzessive verringerte und schließlich ganz stoppte, schoss der Preis im August 2022 in die zwölffache Höhe des langjährigen Durchschnittspreises.

Hauptgrund für diesen bis heute andauernden Strompreisanstieg ist ein fataler Börsenmechanismus, der den Großhandelspreis für Strom in völlig unverhältnismäßiger Weise an an die Brennstoffkosten für Gaskraftwerke koppelt. Infolge des schon 2021 begonnenen Anstiegs der Gaspreise bewirkt diese Koppelung, dass andere Kraftwerksbetreiber mehr oder weniger große Übergewinne auf Kosten der Verbraucher erzielen (siehe Hintergrund, Januar 2023). Die "Abschöpfung von Überschusserlösen", die als Teil 3 des Strompreisbremsegesetzes vom Bundestag beschlossen wurde (221201), ändert daran prinzipiell nichts, weil sie nur auf exzessiv überhöhte Gewinne zugeschnitten wurde, wie sie im Sommer 2022 auftraten. Aber auch die wurden nicht abgeschöpft, weil die Regelung erst ab 1. Dezember 2022 eingeführt wurde. Die noch immer deutlich überhöhten Strompreise dieses Jahres werden von ihr erst gar nicht erfasst, zumal sie am 30. Juni 2023 sowieso ausläuft. Sie schmälerte deshalb bei Konzernen wie RWE lediglich das Dezember-Ergebnis etwas und trübte das prächtige Jahresergebnis nicht weiter (230304).

Strom- und Gaspreise sind weiter rückläufig – Verbraucher spüren aber vorerst wenig davon

Die Strom- und Gaspreise sind auf der Großhandelsebene weiterhin rückläufig, was aber nicht bedeutet, dass auch die Verbraucher entsprechend profitieren. So lag Ende Mai der Großhandelspreis für Gas bei etwas über 32 Euro/MWh. Das war weniger als halb so viel wie vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine. Trotzdem lagen in der Grundversorgung noch immer 90 Prozent der Tarife über der seit 1. Januar 2022 geltenden Gaspreisbremse von 12 Cent/kWh (221203), wie das Vergleichsportal Check24 am 2. Mai mitteilte. Beim Strom lagen weiterhin 76 Prozent der Kunden über der Strompreisgrenze von 40 Cent/kWh, ab der bis 30. April 2024 der Staat die Mehrkosten trägt (221201).

Ähnliche Zahlen veröffentlichte am selben Tag Verivox. Für die beiden führenden Vergleichsportale war die Strom- und Gaspreisexplosion ein schwerer Schlag ins Kontor, weil die Wechselbereitschaft mangels Angeboten zum Erliegen kam. Damit brachen auch Provisionen und Anzeigen weg. Der Medienkonzern ProSiebenSat.1, dem Verivox seit 2015 gehört (150611), erwägt sogar den Verkauf des Unternehmens. Es gibt aber inzwischen ziemlich viel Licht am Ende des Tunnels, seitdem die ersten "Discounter" aus ihrer Schockstarre erwachten und mit Preisen warben, die knapp unter den amtlichen Strom- und Gaspreisgrenzen lagen (230101).

Beim Wechsel zu "alternativen Anbietern" ist weiterhin Vorsicht geboten

Auch die Tarifvergleicher nehmen den Mund wieder recht voll: Laut Check24 können Stromverbraucher "im Schnitt 512 Euro sparen", wenn sie aus der Grundversorgung zu "alternativen Versorgern" wechseln, und das sogar "zusätzlich zur Strompreisbremse". Verivox gelangt zu einem ähnlichen Ergebnis, formuliert indessen ein bißchen anders: "Durch einen Wechsel aus der Grundversorgung kann ein Haushalt über 500 Euro an Stromkosten einsparen – und muss darüber hinaus keine staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen". Daran stimmt zumindest soviel: Wer sich freiwillig mit dem Grundversorgungstarif begnügt, ist selber schuld. Es hat schon seinen Grund, wenn die Vergleichsportale die echten oder angeblichen Einsparungen, die sie anhand der Postleitzahl errechnen, immer aus der Differenz zum jeweiligen Grundversorgungstarif ableiten.

Ob es sinnvoll ist, zu einem "alternativen Versorger" zu wechseln, muss jeder Verbraucher selber entscheiden. Er sollte sich dabei jedoch nicht von Einsparungsversprechen blenden lassen. In der Branche gehören Tricks und Fußangeln oft zum Geschäft. Die Verbraucherzentralen warnen nicht grundlos vor einem voreiligen Wechsel (230101), nachdem so viele Billiganbieter ein unrühmliches Ende fanden und ihre lästig gewordenen Kunden einfach beim jeweils zuständigen Grundversorger entsorgten (200114, 211107, 211202, 211201, 220103, 220207, 220211).

Immerhin könnte die neu erwachte Konkurrenz einen heilsamen Einfluß auf solche etablierten Versorger haben, die es sich im Schutz der staatlichen Strom- und Gaspreisbremsen allzu bequem machen wollen. Doch sollte nicht jeder zugelassen werden, wenn bereits bekannt ist, dass ein " Zweifel an der Leistungsfähigkeit eines Lieferanten oder an der Zuverlässigkeit von dessen Geschäftsführung besteht". So lautete die Begründung, mit der die Bundesnetzagentur im April ein Verfahren gegen die "gas.de Versorgunggesellschaft mbH" einleitete, um ihr die Tätigkeit als Energielieferant zu untersagen.

 

Der Großhandelspreis für Gas lag am 25. Mai, an dem diese Grafik endet, bei 26,19 Euro pro Megawattstunde. Das entsprach ziemlich genau dem Preis im Mai vor zwei Jahren, bevor dieser in der zweiten Jahreshälfte immer stärker nach oben ging (220302). Aufgrund des in Grafik 1 beschriebenen Zusammenhangs zwischen Strom- und Gaspreisen wäre nun eigentlich zu erwarten, dass auch die Megawattstunde Strom wieder 47 statt 83 Euro kostet, falls es bei diesem Preis bleibt. Aber möglicherweise funktioniert der Börsenmechanismus nicht nach beiden Richtungen gleichermaßen...

 

Links (intern)

zur Strompreisbremse / Gaspreisbremse

zu "Energiediscounter" / Vergleichsportale