Juni 2023

230614

ENERGIE-CHRONIK


Kachowka-Staudamm am Dnjepr gesprengt - Putin durch Putschversuch geschwächt

In dem seit sechzehn Monaten andauernden russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gab es im Juni zwei einschneidende Ereignisse: Am 6. Juni wurde der Damm bei der Stadt Kachowka gesprengt, der den Fluss Dnjepr zu einem 230 Kilometer langen und bis zu 24 Kilometer breiten See aufstaut, wodurch es unterhalb des Damms zu verheerenden Überschwemmungen kam. Am 24. Juni folgte ein Putschversuch des Oligarchen Prigoschin, dessen berüchtigte Privatarmee "Wagner" für viele in der Ukraine begangene Kriegsverbrechen verantwortlich ist. Der Oligarch brach den bereits begonnenen Marsch seiner Truppen auf Moskau aber wieder ab, nachdem ihm der russische Diktator Putin Straffreiheit versprach und vermutlich noch etliche andere Zusicherungen machen musste.

"Russland hat eine ökologische Massenvernichtungswaffe gezündet"

Obwohl der Kreml die Zerstörung des Kachowka-Staudamms auf ukrainischen Beschuss zurückzuführen versuchte und Putin scheinheilig von einem "barbarischen Akt" der Ukraine sprach, wurde die Sprengung offenbar von der russischen Armee ausgelöst, die den Staudamm schon kurz nach Beginn des Überfalls auf die Ukraine unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Die dafür erforderliche Verminung des Damms erfolgte nach ukrainischen Angaben schon vor mehr als einem halben Jahr und löste schon damals große Besorgnis aus (221001). Die Ukraine machte deshalb für die Zerstörung Russland verantwortlich und verlangte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats, aus dem Russland endlich ausgeschlossen werden müsse. "Das ist die größte menschengemachte Umweltkatastrophe in Europa seit Jahrzehnten", erklärte der ukrainische Präsident Zelenski. "Russland hat eine ökologische Massenvernichtungswaffe gezündet."

Mangels Kühlwasser können 8500 MW Kraftwerkskapazität nicht genutzt werden

Der Dammbruch setzte große Teile der Gebietshauptstadt Cherson sowie andere Ortschaften entlang des Dnjepr unter Wasser. Zugleich gefährdete er erneut das Atomkraftwerk Saporischschja (220903), das 150 Kilometer oberhalb des Staudamms liegt und mit dem Dnjepr-Wasser gekühlt wurde. Durch das Auslaufen des Stausees ist das nicht mehr möglich. Zum Glück war inzwischen keiner der sechs Reaktoren mehr in Betrieb. Für die erforderliche Nachkühlung genügt nach Feststellung der Internationalen Atomenergiebehörde IAEO ein oberhalb des Stauseespiegels liegendes Kühlwasserbecken, das sich am Kernkraftwerk selbst befindet. Diese Kühlmöglichkeit müsse aber unbedingt erhalten bleiben. Ein Normalbetrieb des Kernkraftwerks ist unter diesen Umständen nicht mehr möglich. Das gilt für die Gesamtleistung von 5700 MW wie auch für den Betrieb einzelner Reaktoren. Vom Verlust des Kühlwassers aus dem Stausee ebenfalls betroffen sind die sechs Kohle- und Gasblöcke des zwei Kilometer entfernten konventionellen Wärmekraftwerks Saporischschja, die insgesamt über eine Leistung von 2800 MW verfügen. Hinzu fehlen die 375 MW des Wasserkraftwerks Kachowka.

Das Exil-Angebot für Prigoschin hat Putin mit Lukaschenko vereinbart

Die seit langem vorbereitete Sprengung des Kachowka-Staudamms demonstrierte ein weiteres Mal die Skrupellosigkeit, mit der Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine führt. Der drei Wochen später erfolgende Putschversuch des Oligarchen Prigoschin warf dagegen erneut ein Schlaglicht auf die mafiösen Strukturen des russischen Regimes. Prigoschin hatte schon seit einiger Zeit scharfe Kritik an Putins Verteidigungsminister Schoigu geübt und Veränderungen an der Kriegsführung in der Ukraine verlangt, wo seine "Wagner"-Truppen ohne ausreichende Munition kämpfen müssten. Normalerweise wäre eine solche Kritik hart bestraft worden. Dass dies nicht geschah, ließ ihn anscheinend seine eigene Machtposition überschätzen. Putin hielt es seinerseits wohl für die bessere Lösung, es nicht zu einem militärischen Machtkampf mit Prigoschins Privatarmee kommen zu lassen, obwohl er wahrscheinlich am längeren Hebel gesessen hätte. Deshalb einigte er sich mit dem Rivalen unter der Bedingung, dass dieser im benachbarten Belarus ins Exil geht. Das Exil-Angebot kam durch eine Vereinbarung zwischen den beiden Machthabern Lukaschenko und Putin zustande. Da Belarus ebenfalls eine Diktatur und von Russland stark abhängig ist, wird Prigoschin dort gewissermaßen unter Lukaschenkos Aufsicht stehen und Putin nicht mehr gefährlich werden können. Dennoch hat der Streit Putin nachhaltig geschwächt und Risse in dem scheinbar intakten Machtgefüge seiner Diktatur aufgezeigt. Dass der Konflikt lediglich inszeniert bzw. ein "Fake" gewesen sei, wie einige Schlaumeier sogleich vermuteten, ist wenig wahrscheinlich. Wenn er im Westen dennoch mit gemischten Gefühlen verfolgt wurde, liegt dies hauptsächlich daran, dass sich hier zwei Kriegsverbrecher um die richtige Strategie stritten, die eigentlich beide hinter Gitter gehören. 

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