November 2024 |
241102 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die teilweise Abschöpfung von stark überhöhten Strompreis-Gewinnen zur Mitfinanzierung der von Januar bis Dezember 2023 praktizierten "Strompreisbremse" (221101), wie sie mit den §§ 13 - 19 im Strompreisbremsegesetz vom 20. Dezember 2022 ermöglicht wurde, erfolgte zu Recht und war kein unzulässiger Eingriff in die nach Art. 12 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) geschützte Berufsfreiheit. Mit dieser Begründung wies der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts am 28. November zwei Verfassungsbeschwerden von insgesamt 22 Klägern zurück, die Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien betreiben oder diese vermarkten.
Nach Feststellung des Gerichts war die Umverteilung der "Überschusserlöse" als Reaktion auf eine nach Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 entstandene Ausnahmesituation auf dem Strommarkt gerechtfertigt. Der enorme Anstieg des Strompreises infolge der kriegsbedingten Verknappung von Gas habe insbesondere bei den Betreibern von Anlagen zur Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien zu außerordentlichen, die typischen Investitionserwartungen weit übersteigenden Erlösen geführt; gleichzeitig seien Stromverbraucher außergewöhnlich stark belastet worden. In dieser Ausnahmesituation stelle die Umverteilung der erzielten sogenannten Überschusserlöse einen angemessenen Ausgleich zwischen den begünstigten Stromerzeugern und den belasteten Stromverbrauchern her.
In seiner zusammenfassenden Pressemitteilung verweist das Bundesverfassungsgericht auf den fatalen Börsenmechanismus, der 2022 die Explosion der Strompreise überhaupt erst bewirkte, obwohl es keinerlei Strommangel gab und der vergleichsweise geringe Gasanteil an der Stromerzeugung niemals derart zu Buche schlagen hätte können:
"Im Jahre 2022 stieg insbesondere der Erdgaspreis als Folge der durch den Ukraine-Krieg ausgelösten Gasverknappung enorm an. Dadurch kam es aufgrund des für den Strommarkt maßgeblichen Preisbildungsmechanismus zu einem massiven Anstieg der Strompreise. Bei diesem Mechanismus richten sich die Preise auf dem europäischen Strommarkt nach den Referenzpreisen, die auf dem sogenannten Day-Ahead-Markt im Rahmen einer börslichen Auktion für den Folgetag gebildet werden. Bei diesen Auktionen werden die Zuschläge nicht in der Reihenfolge der günstigsten Gebote erteilt, sondern in der Reihenfolge der ansteigenden, von den Betreibern angegebenen und insbesondere von den Brennstoffkosten abhängigen Grenzkosten ihrer Stromerzeugungsanlagen. Dabei bestimmen die höchsten Grenzkosten der zuletzt zur Deckung des Strombedarfs eingesetzten Anlagen den für alle Anbieter maßgeblichen Einheitspreis. Da zur Deckung des Strombedarfs nicht selten auch die teuren Gaskraftwerke eingesetzt werden mussten, führten deren kriegsbedingt enorm angestiegene Brennstoffkosten zu einem massiven Anstieg des einheitlichen Strompreises. Dieser Anstieg des einheitlichen Strompreises führte bei den Betreibern von Stromerzeugungsanlagen mit geringen Brennstoffkosten, zu denen insbesondere die Erneuerbare-Energien-Anlagen gehören, zu außerordentlich hohen Gewinnen."
Dankenswerterweise wird damit zum ersten Mal in einem höchstinstanzlichen Urteil bestätigt, wie die Strompreiskrise tatsächlich zustande kam. Denn damit wurde viel Schindluder getrieben, indem bestimmte politische Kreise den Anschein einer Stromversorgungskrise zu erwecken versuchten, die unbedingt längere Laufzeiten der drei letzten Kernkraftwerke erfordern würde oder sogar eine Neubelebung der Kernenergie überhaupt (Hintergrund, Januar 2023).
Auch die folgenden Ausführungen zu den Auswirkungen der Strompreiskrise und den Bemühungen auf Regierungsebene, die sozialen Folgen einigermaßen zu lindern, sind es wert, im Wortlaut zitiert zu werden:
"Auf Seiten der Verbraucher lösten die massiv gestiegenen Strompreise einen unerwarteten Kostenschock für Unternehmen und private Haushalte aus. Die Unsicherheiten über eine bezahlbare Energieversorgung der Unternehmen und privaten Haushalte wurde als außergewöhnliche Notsituation eingestuft. Private und gewerbliche Stromverbraucher wurden dazu aufgerufen, jede mögliche Anstrengung zur Einsparung von Strom zu nutzen.
Vor diesem Hintergrund erging eine Notfallverordnung der Europäischen Union, die den Mitgliedstaaten eine Abschöpfung der über eine festgelegte Obergrenze hinausgehenden Erlöse und deren gezielte Verwendung zur Entlastung der Stromverbraucher von den hohen Stromkosten vorgab. Die außerordentlich hohen Erlöse aus dem Verkauf von Strom sollten angesichts der Belastung der Verbraucher durch die extrem hohen Preise nach Maßgabe der vor dem Ukraine-Krieg bestehenden Investitionserwartungen begrenzt werden. Deutschland hat diese Vorgabe mit dem Strompreisbremsegesetz umgesetzt. Dieses legt unterschiedliche Erlösobergrenzen fest, die sich an den Kostenstrukturen der verschiedenen Stromerzeugungsarten orientieren. Soweit die fiktiv am Markt erzielbaren oder die tatsächlich aufgrund von Verträgen erzielten Erlöse aus dem Verkauf von Strom diese Obergrenzen überschreiten, werden sie abgeschöpft und sollen im Wege eines privatwirtschaftlichen Wälzungsmechanismus über die Netzbetreiber, die Übertragungsnetzbetreiber und die Elektrizitätsversorgungsunternehmen letztlich den Stromverbrauchern zugutekommen."
Die Argumente der Kläger konnten das Bundesverfassungsgericht nicht beeindrucken. So machten diese geltend, dass ihre Stromerzeugungsanlagen im Unterschied zu den Gaskraftwerken nicht zu den hohen Strompreisen beigetragen, sondern im Gegenteil preisdämpfend gewirkt hätten. Ebenso rabulistisch argumentierten sie, dass es sich bei der Gewinnabschöpfung um eine Maßnahme handele, die im allgemeinen sozial- und konjunkturpolitischen Interesse liege und daher allein aus Steuermitteln zu finanzieren sei. Am ehesten akzeptierten die Richter noch den Eingriff in die Berufsfreiheit sowie die mit administrativen Lasten einhergehenden Pflichten zur Mitwirkung bei der Abschöpfung. Unter den gegebenen Umständen seien diese Eingriffe jedoch erforderlich und zulässig gewesen.
Außerdem konnte sich das Gericht in seiner Pressemitteilung einen kurzen Hinweis nicht verkneifen, dass die ohnehin sehr lasch angelegte Gewinnabschöpfung den allergrößten Teil der Preisexplosion der Jahre 2021/2022 überhaupt nicht erfasst hat: "Deutlich eingriffsmindernd wirken hingegen die kurze Befristung der Erlösabschöpfung auf die Zeit nach dem 30. November 2022 und vor dem 1. Juli 2023 sowie der Umstand, dass auf einen wesentlichen Teil der seit Beginn des Ukraine-Krieges angefallenen außergewöhnlichen Erlöse nicht zugegriffen wird." – Ein höchstrichterlicher Befund, den der DIW-Präsident Marcel Fratzscher im August 2023 etwas salopper formulierte, als er die damals mit neun Milliarden Euro bezifferten Kosten der Strompreisbremse mit den Abschöpfungs-Einnahmen von 417 Millionen Euro verglich und lapidar feststellte, dass das "natürlich ein Klacks" sei (230804).
Dem Urteil ist nicht zu entnehmen, welche Unternehmen die beiden Verfassungsbeschwerden erhoben haben. Die Namen der juristischen Personen wurden anonymisiert, indem nur ihre jeweilige Rechtsform genannt wird. Bei drei natürlichen Personen, die ebenfalls geklagt haben, steht lediglich "Herr...".
Öffentlich als Kläger hervorgetreten ist anscheinend nur die Firma Lichtblick SE, die ihre Verfassungsbeschwerde als Betreiber des Solarparks LichtBlick Solarpark Calbe GmbH & Co. eingereicht hat. Dieser Stromanbieter hatte sich bereits im November 2022 von der Frankfurter Kanzlei Raue ein Rechtsgutachten zu der geplanten Abschöpfung von "Übererlösen" anfertigen lassen. Das Gutachten hielt eine Verfassungsbeschwerde für aussichtsreich, weil die Gewinnabschöpfung gegen EU-Recht sowie das Grundrecht auf Eigentum im Grundgesetz verstoße. Außerdem sei sie eine unzulässige Sonderabgabe. Der von Lichtblick mit der Kanzlei Raue vorbereiteten Klage schlossen sich dann 24 weitere Unternehmen an, von denen sich aber fünf wieder zurückzogen (230304).
In einer Stellungnahme zu dem Karlsruher Urteil behauptete Lichtblick weiterhin: "Der komplexe staatliche Eingriff in das laufende Geschäft grüner Erzeuger beruhte in Teilen auf der Annahme fiktiver Erlöse. In vielen Fällen wurde vom Staat mehr Geld kassiert, als der Betreiber mit der Stromerzeugung verdient hat". Als Folge seien ganze Geschäftsfelder wie der Markt für Direktlieferverträge (PPA) eingebrochen.
Lichtblick ist einer der fünf größten Anbieter von sogenanntem Ökostrom in
Deutschland und gehört seit 2019 komplett dem Eneco-Konzern, der sich zum Zeitpunkt
der Übernahme noch im Eigentum von zahlreichen niederländischen Kommunen befand
(181209). Kurz darauf wurde der Erwerber seinerseits
erworben: Seit 2020 gehört Eneco dem Technologiekonzern Mitsubishi (80 Prozent)
und dem drittgrößten japanischen Stromanbieter Chubu (20 Prozent).