August 1994 |
940812 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der SPD-Kanzlerkandidat Rudolf Scharping will im Falle eines Wahlsiegs Energiesteuern nur behutsam einführen. Gemeinsam mit dem Umweltforscher Ernst-Ulrich von Weizsäcker stellte Scharping am 22.8. in Bonn ein Papier der SPD-Grundwertekommission zu "Ökologischer Solidarität und dauerhafter Entwicklung" vor. Nach seinen Worten sollen höhere Steuern auf Energie zusammen mit den anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union, notfalls aber auch ohne sie eingeführt werden. Sie dürften jedoch nicht dazu führen, "daß energieintensive Produktionen Deutschland verlassen". Scharping bestätigte erstmals offiziell, daß in seinem Schattenkabinett die derzeitige niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn (SPD) das Bundesumweltministerium übernehmen soll (Welt, 23.8.; Faz, 23.8.; siehe auch 930503, 930504, 930505 u. 930904).
Der saarländische Ministerpräsident Oskar Lafontaine (SPD) bekräftigte am 16.8. am Rande eines SPD-Symposions zum "Ökologischen Wandel" in Bonn, daß eine Verteuerung von Öl, Strom und Gas erst erfolgen dürfe, wenn eine Nettoentlastung der Einkommen, Renten und Sozialtransfers stattgefunden habe (SZ, 20.8.).
Eine ökologische Umgestaltung des Steuersystem, wie sie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in eine Studie für Greenpeace vorgeschlagen hat (siehe 940605), wird unterdessen in den Medien lebhaft diskutiert.
Der Spiegel (29.8.) setzte sich engagiert für den Vorschlag ein: "Alle wirtschaftliche Vernunft spricht dafür, das Steuersystem nach ökologischem Design umzubauen. Die jetzige Umweltpolitik, die fast ausschließlich mit dem Ordnungsrecht arbeitet, also vor allem Verbot und Strafe kennt, ist antiquiert."
Auch die Süddeutsche Zeitung (22.8.) hält es für "vernünftig und realistisch" , über die Vorschläge des DIW-Instituts nachzudenken. Die Kritik seitens der Wirtschaft stehe bisher auf schwachen Füßen und könne "allenfalls Vorurteile erhärten".
Das Handelsblatt (22.8.) ließ Befürworter und Gegner der Öko-Steuer kontrovers zu Worte kommen: Die DIW-Mitarbeiterin Barbara Praetorius argumentierte in ihrem Beitrag im wesentlichen damit, daß die Einnahmen aus der Ökosteuer "in den Wirtschaftsprozeß und an die privaten Verbraucher zurückfließen". Die Ökosteuer würde damit "nicht als fiskalpolitisch restriktiver Impuls wirken", sondern Änderungen der Wirtschafts- und Verbrauchsstruktur anregen, die ohnehin fällig seien. - Demgegenüber äußerte "Handelsblatt"-Redakteur Heinz Jürgen Schürmann in seinem Beitrag die Befürchtung, daß durch die Einführung einer solchen Öko-Steuer "Standortverschiebungen stattfinden und die Umwelt insgesamt keineswegs geschützt wird".
Für das Deutsche Allgemeine Sonntagsblatt (29.7.) würde eine ökologische Steuerreform "in Deutschland einen gewaltigen Strukturwandel in Gang setzen". Den Vorteil hätten Hersteller von Investitionsgütern und Firmen aus dem Dienstleistungssektor, während Branchen mit hohem Energieverbrauch wie die Stahlindustrie und die chemische Industrie schrumpfen müßten.
Rundweg abgelehnt werden die Vorschläge
in der Börsen-Zeitung (6.8.), die sogar ein "Ökosteuer-Monster"
auf die deutsche Wirtschaft zukommen sieht: "Die Rezession
ist noch nicht vorüber, geschweige denn, daß die von
ihr verursachten Trümmer aus dem Weg geräumt wären,
da droht, emsig geschürt, schon wieder Reformfieber die Republik
zu erfassen". Die Pläne für eine Ökosteuer
seien besonders für die chemische Industrie ein "Folterinstrument".