August 2009

090808

ENERGIE-CHRONIK


Der Standort Gorleben war nicht erste Wahl, sondern Revanche an der DDR

Bei der Suche nach einem geeigneten Standort zur Endlagerung hoch radioaktiver Abfälle war der Salzstock in Gorleben keineswegs die erste Wahl. Vielmehr gaben politische Überlegungen den Ausschlag: Der damals in Niedersachsen regierende Ministerpräsident Ernst Albrecht (CDU) wollte sich auf diese Weise an der DDR revanchieren, die ihr Endlager Morsleben ebenfalls dicht an der Grenze zwischen der alten Bundesrepublik und DDR plaziert hatte. Dies enthüllte am 7. August der Geologe Gerd Lüttig, der in den siebziger Jahren als Gutachter an der Suche nach einem Endlager beteiligt war, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur ddp.

Lüttig zufolge waren ab 1972 etwa hundert Salzstöcke auf ihre Eignung als Endlager untersucht worden. Sie lagen allesamt in Norddeutschland. In die engere Wahl seien schließlich acht Salzstöcke gekommen, darunter auch der in Gorleben, der vor allem durch seine Größe beeindruckte. Bei der Anlegung noch strengerer Kriterien habe sich die Auswahl dann aber auf drei Salzstöcke verengt (Lichtenhorst/Ahlden bei Nienburg, Lutterloh/Fassberg bei Celle und Waten/Börger im Emsland). Gorleben sei nur noch bedingt als geeignet erschienen.

Auf die Frage, weshalb 1977 der damalige Ministerpräsident Ernst Albrecht mit Gorleben dennoch einen Salzstock der zweiten Kategorie auswählte, sagte Lüttig wörtlich:

"Er wollte einen Standort in der Nähe der damaligen Zonengrenze haben, weil die Ostzonalen, wie er immer sagte, uns die Geschichte mit ihrem Endlager Morsleben eingebrockt hatten. Wir wußten durch Gespräche, die wir über einen Ausschuß mit ostzonalen Kollegen führen konnten, daß Morsleben Defekte hatte. Daß der Schacht technisch nicht in Ordnung war, daß es Wasserzuflüsse gab. Wir befürchteten immer, und das hat Herrn Albrecht auf die Palme gebracht, daß Morsleben eines Tages absaufen würde und radioaktive Wässer in Richtung Helmstedt (in Niedersachsen) fließen und uns da die ganze Landschaft verderben könnten."

Das Wissen um die Defekte des Endlagers für schwach- bis mittelradioaktive Abfälle, das die DDR im ehemaligen Salzbergwerk Bartensleben am Rande von Morsleben errichtet hatte, hinderte die Bundesrepublik indessen nicht daran, es auch nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten weiter zu betreiben. Man berief sich dabei auf die 1986 von den DDR-Behörden erteilte Genehmigung, die für zwanzig Jahre galt. Nach dem Einigungsvertrag war der Weiterbetrieb bis Mitte 2000 befristet. Als im Februar 1991 das Bezirksgericht Magdeburg dem Bundesamt für Strahlenschutz die weitere Einlagerung von radioaktiven Abfällen in Morsleben untersagte (911106), wurde diese Entscheidung am 25. Juni 1992 vom Bundesverwaltungsgericht aufgehoben (920610). Zusätzlich zu den ostdeutschen Abfällen durften nun auch solche aus Westdeutschland endgelagert werden (931215). Das 1998 novellierte Atomgesetz verlängerte zudem die Betriebszeit bis zum Jahr 2005 (970701, 971103). Infolge des Wahlsiegs der rot-grünen Koalition im September 1998 kam diese Verlängerung aber nicht mehr zum Tragen: Noch im selben Monat stoppte das Bundesamt für Strahlenschutz komplett die Einlagerung aufgrund eines Gerichtsurteils, das eigentlich nur einen Teilbereich betraf (980919) und gab bald darauf den dauernden Verzicht auf weitere Einlagerungen bekannt. Seit der erneuten Novellierung des Atomgesetzes im Jahr 2002 wird durch § 57a die Annahme weiterer Abfälle untersagt, der Weiterbetrieb des Lagers zum Zweck der Stillegung aber gestattet.