Oktober 2011 |
111003 |
ENERGIE-CHRONIK |
Zahlreiche Verteilnetzbetreiber wollen ein Urteil des Bundesgerichtshofs für eine Erhöhung ihrer Netzentgelte nutzen. Da die Netzentgelte zwischen 12 und 25 Prozent des Strompreises ausmachen (100304), wird dies den Strom für Endverbraucher entsprechend verteuern. So will die E.ON Netz ihre Entgelte ab 2012 um 7 bis 13 Prozent erhöhen. Ähnliche Absichten gibt es bei der EnBW Regional und Vattenfall.
Wie der Tarifvergleicher Verivox am 19. Oktober mitteilte, haben die elf größten Netzbetreiber derzeit Erhöhungen der Netznutzungsentgelte von durchschnittlich 6,5 Prozent angekündigt. Wenn dieser Trend auch von den anderen Netzbetreibern aufgenommen werde, erhöhe sich der Endpreis für die Verbraucher - zusätzlich zu ohnehin geplanten Strompreiserhöhungen – um weitere zwei Prozent, was für den Musterhaushalt mit einem Jahresverbrauch von 4.000 kWh einer jährlichen Mehrbelastung von rund 17 Euro entspreche.
Zusätzlich droht den Stromverbrauchern im neuen Jahr ein "Sonderkundenaufschlag", mit dem die Bundesnetzagentur die Einnahmenverluste ausgleichen will, die aus der Privilegierung von Großverbrauchern entstehen. Durch eine im Juli dieses Jahres überraschend und gewissermaßen klammheimlich durchgeführte Gesetzesänderung werden nämlich Großverbraucher grundsätzlich von den Netzentgelten befreit, sofern die Stromabnahme mindestens 7000 Stunden im Jahr erfolgt und mehr als 10 Gigawattstunden beträgt (111004).
Seit Inkrafttreten der sogenannten Anreizregulierung wird die Höhe der Netzentgelte nicht mehr von der Bundesnetzagentur einzeln genehmigt, sondern von einer Obergrenze für die Gesamterlöse vorgegeben. Wenn es den Netzbetreibern gelingt, ihre Kosten über die behördlichen Vorgaben hinaus zu reduzieren, dürfen sie daraus resultierende Gewinne behalten. Für die Netzbetreiber sollen sich so Anreize zur Senkung der Kosten ergeben. Die Netzentgelte sind insoweit begrenzt und sollen tendenziell sogar sinken.
Der Spielraum für die Gesamterlöse wurde nun jedoch durch zwei Beschlüsse des Bundesgerichtshofs erweitert: Der Kartellsenat beanstandete am 28. Juni 2011 verschiedene Punkte der Anreizregulierungsverordnung vom 29. Oktober 2007 (ARegV). Unter anderem hielt er § 9 ARegV für unvereinbar mit dem Energiewirtschaftsgesetz (EnWG), weil § 21a Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 EnWG nur die Berücksichtigung einer von der Entwicklung der Verbraucherpreise abweichenden Entwicklung der netzwirtschaftlichen Einstandspreise erlaube, nicht aber die Berücksichtigung eines generellen gesamtwirtschaftlichen oder netzwirtschaftlichen Produktivitätsfortschritts.
Die Musterentscheidung wurde von der EnBW Regional erfochten. Die Bundesnetzagentur muß nun zumindest über jene Anträge neu entscheiden, die noch nicht abschließend beschieden sind. Es handelt sich dabei um Anträge von Netzbetreibern, die ähnliche Klagen wie die EnBW Regional eingereicht hatten oder den Bescheid der Behörde nur unter der Zusage einer Gleichbehandlung im Falle einer höchstrichterlichen Entscheidung akzeptierten.
Die Regulierungsperioden dauern gemäß § 3 ARegV jeweils fünf Jahre. Die erste begann am 1. Januar 2009. Bis zu ihrem Ende am 31. Dezember 2013 könnten die jetzt geplanten Entgelterhöhungen bis zu einer Milliarde Euro zusätzliche Kosten für Netznutzer und Letztverbraucher ausmachen. Die Netzbetreiber müssen allerdings damit rechnen, daß die vom Bundesgerichtshof beanstandeten Rechtslücken nachträglich und mit rückwirkender Geltung geschlossen werden. Im Bundeswirtschaftsministerium wird an einer entsprechenden Neuregelung gearbeitet. Laut FAZ (18.10.) wird sie auf einen "Ausgleich zwischen den Verbraucherinteressen und dem Investitionsbedarf in den Netzen" hinauslaufen. Im Klartext soll das wohl heißen, daß den Netzbetreibern tatsächlich höhere Entgelte zugestanden werden.