Juni 2013

130607

ENERGIE-CHRONIK


 

 

Die beiden Blöcke B und C des Kernkraftwerks Gundremmingen sind die letzten Siedewasserreaktoren in Deutschland. Sie verfügen über eine elektrische Bruttoleistung von jeweils 1344 MW. Links sieht man die Reaktorkuppel des Blocks A, der 1966 mit 250 MW als erster kommerzieller Leistungsreaktor Deutschlands den Betrieb aufnahm. Block A mußte 1977 nach einem schweren Störfall stillgelegt werden und wird seit 1983 abgebaut.

Foto: RWE

RWE und E.ON wollen Leistung des KKW Gundremmingen erhöhen

Die Energiekonzerne RWE und E.ON wollen die elektrische Leistung des Kernkraftwerks Gundremmingen um mehr als 40 Megawatt erhöhen. Ein entsprechender Genehmigungsentwurf des bayerischen Umweltministeriums liegt schon seit Ende 2007 vor und dürfte demnächst – vermutlich aber erst nach den Bundestagswahlen - endgültig abgesegnet werden. Mit der Billigung durch das Bundesumweltministerium ist ebenfalls zu rechnen, falls – was inzwischen als wahrscheinlich gilt – die schwarz-gelbe Koalition nach den Wahlen fortgesetzt werden kann. Die im "Schwabenenergierat" verbündeten Initiativen haben deshalb 6700 Unterschriften gegen das Vorhaben gesammelt und am 12. Juni als Petition dem Bayerischen Landtag übergeben. Sie befürchten ein erhöhtes Sicherheitsrisiko durch verschärfte Fahrweise der Reaktoren. Die Betreiber bestreiten dagegen ein solches Risiko und begründen die beantragte Leistungserhöhung mit einem angeblich notwendigen Beitrag zur Versorgungssicherheit.

Tatsächlich hat der RWE-Konzern aber Probleme, die ihm zugesprochenen Reststrommengen innerhalb der gesetzlich fixierten Laufzeiten für die Kernkraftwerke abarbeiten zu lassen. Am liebsten würde er die elektrische Leistung des KKW Gundremmingen sogar um 112 MW erweitern, wie dies der beantragten Erhöhung der thermischen Leistung entspräche. Daß er sich vorläufig mit "gut 20 MW" pro Block bescheiden will, liegt allein am konventionellen Teil der Kraftwerkstechnik, der soviel zusätzlichen Dampf nicht verkraften könnte.

Aus dem Kontingent für Mülheim-Kärlich hat RWE noch immer fast 100.000 Gigawattstunden übrig

Die beiden baugleichen Siedewasserreaktoren B und C werden von der Kernkraftwerk Gundremmingen GmbH (KGG) betrieben, die zu 75 Prozent RWE und zu 25 Prozent E.ON gehört. Sie sind seit 1984 in Betrieb und verfügen über eine elektrische Bruttoleistung von jeweils 1344 MW. Nach § 7 des Atomgesetzes hat Block B noch eine Laufzeit bis Ende 2017 und Block C bis Ende 2021. Zu Beginn dieses Jahres betrugen die Reststrommengen der beiden Reaktoren 30.046 bzw. 38.963 Gigawattstunden (GWh). Beide haben seit Anfang 2000 im Jahresdurchschnitt eine Strommenge von jeweils ungefähr 10.000 GWh erzeugt. Die Abarbeitung der in Anlage 3 des Atomgesetzes für Gundremmingen festgelegten Reststrommengen würde somit keinerlei Probleme aufwerfen und sogar weit vor dem Ende der Laufzeiten möglich sein.

 

 

Die 2011 beschlossene Neufassung des Atomgesetzes setzte die Reststrommengen, die den vier KKW-Betreibern in der ab 2002 gültigen Ausstiegsregelung zugestanden worden waren, wieder in Kraft, kombinierte sie aber zugleich mit festen Schlußterminen für die Laufzeit der einzelnen Reaktoren. Wie diese Grafik zeigt, bekamen E.ON und EnBW genug Spielraum, um ihre jeweiligen Reststrommengen innerhalb des Zeitfensters bis zur Stillegung der Anlagen abzuarbeiten (bei E.ON inklusive der Reststrommengen von Vattenfall). RWE wurde es dagegen nicht ganz leicht gemacht, auch die fiktive Reststrommenge für Mülheim-Kärlich bis zur letzten Gigawattstunde ausschöpfen zu können.

(Die Grafik basiert auf den Reststrommengen, die das Bundesamt für Strahlenschutz zum 31.12.2010 ermittelte. Für die neun Kernkraftwerke, die nach § 7 Abs. 1a AtG weiter in Betrieb blieben, wurde die durchschnittliche Jahresproduktion zugrunde gelegt, die sie im Zeitraum von 2000 bis 2007 erreichten.)

 

Anders sieht es freilich aus, wenn man die Reststrommengen betrachtet, die RWE insgesamt noch abarbeiten kann: Durch die Neufassung des Atomgesetzes wurde RWE ab 2011 eine Reststrommenge von insgesamt 330.763 GWh zugestanden. Die noch zur Verfügung stehenden KKW-Kapazitäten des Konzerns würden aber bis zu ihrer Stillegung – eine bisherige durchschnittliche Jahresproduktion vorausgesetzt – nur die Abarbeitung von 312.340 GWh ermöglichen (siehe Grafik). Das liegt vor allem an dem großzügig bemessenen Kontingent für den 1988 abgeschalteten und schließlich stillgelegten Reaktor Mülheim-Kärlich (030906), das im ersten Atomausstiegsgesetz mit 107.250 GWh veranschlagt wurde (000601). Davon waren Anfang dieses Jahres noch 99.150 GWh übrig, da RWE im Juni 2010 die Übertragung von 8.100 GWh auf den Reaktor Biblis B angezeigt hat, was nach dem Atomgesetz ohne Genehmigung möglich war. Mit dieser Übertragung wollte RWE die Restlaufzeit von Biblis B solange strecken, bis die im Herbst 2009 an die Regierung gekommene schwarz-gelbe Koalition die allgemeine Verlängerung der Laufzeiten für alle 17 deutschen Kernkraftwerke durchgesetzt haben würde (100302), die schließlich im Oktober 2010 durch eine entsprechende Revision des Atomgesetzes erfolgte (101002). Zuvor – zu Zeiten der schwarz-roten Koalition – hatte RWE eine Übertragung von 30.000 GWh auf den älteren Reaktor Biblis A beantragt (060901), was aber zustimmungspflichtig war und vom seinerzeitigen Bundesumweltminister Gabriel (SPD) abgelehnt wurde (080401). Der Reaktor Biblis A entging deshalb nur wegen eines 16 Monate dauernden Stillstands der sonst unabwendbaren Stillegung (080210).

Hinzu kommen 10.000 Gigawattstunden aus dem stillgelegten Kernkraftwerk Biblis

Infolge des atompolitischen Kurswechsels der schwarz-gelben Regierung kam es dann für die beiden Blöcke in Biblis anstelle der zuvor beschlossenen Laufzeitverlängerung um 69.000 bzw. 71.000 GWh (100901) zur sofortigen Stillegung. RWE verfügte deshalb zu Beginn dieses Jahres neben den 99.150 GWh für Mülheim-Kärlich auch noch über Reststrommengen aus Biblis B (7.822 GWh) und Biblis A (2.194 GWh). Zusammen ergibt das 109.166 GWh. Die Übertragung dieser Reststrommengen auf das KKW Gundremmingen ist nach dem Atomgesetz ohne besondere Genehmigung möglich. Allerdings könnten die beiden Blöcke in Gundremmingen von 2013 bis zum Ende ihrer jeweiligen Laufzeiten nur etwa 70.000 GWh zusätzlich zu den eigenen Reststrommengen abarbeiten, sofern es bei der bisherigen Fahrweise bleibt. Den Rest von rund 40.000 GWh müßte RWE woanders unterbringen.

Hier liegt offenbar der Grund für die beantragte Leistungserhöhung: Sie würde, sofern sie Ende dieses Jahres genehmigt wird, in Gundremmingen die Abarbeitung von zusätzlich etwa 2.000 GWh ermöglichen. Beim gegenwärtigen Börsenpreis für Grundlaststrom entspräche das überschlägig einem Wert von etwa 70 Millionen Euro. Bei einer nachträglichen Anpassung der elektrischen Kraftwerkstechnik an die genehmigte thermische Leistung wären es sogar etwa 200 Millionen Euro.

RWE verfügt neben Gundremmingen nur noch über Emsland

Die elektrische Leistungserhöhung um 40 MW wäre ohne Änderungen der vorhandenen Reaktortechnik möglich. Sie würde diese aber stärker beanspruchen, da der Abbrand der Brennelemente erhöht und das Wasser schneller durch den Reaktor gepumpt würde. Hier dürfte ein nicht unerhebliches Risiko liegen, obwohl sich die Betreiber gutachterlich bestätigen ließen, daß die Leistungserhöhung keine sicherheitstechnisch relevanten Auswirkungen haben werde.

Ein von den Betreibern eingestandener Schwachpunkt ist dagegen der konventionelle Teil der Kraftwerkstechnik: Die Turbine und andere Anlagenteile können mehr Dampf nur in begrenztem Umfang verarbeiten. Sie würden überlastet, wenn die beantragte Erhöhung der thermischen Leistung um 160 Megawatt (MW) pro Reaktor voll ausgenutzt würde. Deshalb wird die elektrischen Leistungserhöhung pro Block auf "gut 20 MW" begrenzt – wenigstens vorläufig.

Offenbar will sich RWE aber die Möglichkeit offenhalten, eventuell doch eine Nachrüstung der konventionellen Kraftwerkstechnik vorzunehmen. Ursprünglich war das auch so geplant, als vor ungefähr 13 Jahren der erste diesbezügliche Antrag gestellt wurde (zur Geschichte des Genehmigungsverfahrens siehe die Chronologie, die der Vorsitzende der Bürgerinitiative "Forum Gemeinsam gegen das Zwischenlager und für eine verantwortbare Energiepolitik e.V"), Raimund Kamm, erstellt hat).

Wie es weitergeht, wird auch davon abhängen, wieviel Reststrommengen das RWE-Kernkraftwerk Emsland abarbeiten kann. In den vergangenen 13 Jahren produzierte es jährlich rund 11.000 Gigawattstunden. Zu Beginn dieses Jahres verfügte es noch über eine Reststrommenge von 87.282 GWh. Die wäre bei bisheriger Fahrweise bis 2020 aufgebraucht. Bis zum gesetzlich festgelegten Abschalttermin Ende 2022 könnte Emsland deshalb noch gut zwei Jahre sonstige RWE-Reststrommengen abarbeiten. Im übrigen bliebe RWE noch die Möglichkeit, mit E.ON und EnBW ins Geschäft zu kommen, soweit die Laufzeit von deren Kernkraftwerken über die konzerneigenen Reststrommengen hinausreicht.

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