August 2014

140801

ENERGIE-CHRONIK


Rußland muß Yukos-Aktionäre mit 1,9 Milliarden Euro entschädigen

Der russische Staat muß wegen Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, die er sich vor zehn Jahren bei der Zerschlagung des Ölkonzerns Yukos (031117, 041210) zuschulden kommen ließ, eine Entschädigung in Höhe von 1.866.104.634 Euro zahlen. Außerdem hat er der Yukos-Stiftung, welche die Interessen der ehemaligen Yukos-Eigentümer vertritt, deren Kostenaufwand mit 300.000 Euro zu vergüten. So entschied der in Straßburg ansässige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (ECHR) am 24. Juni. Veröffentlicht wurde das Urteil allerdings erst am 31. Juli. Es wurde deshalb erst drei Tage später bekannt, nachdem der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag den früheren Yukos-Aktionären eine Entschädigung von über 37 Milliarden Euro zugesprochen hatte (140701).

Beim Straßburger Urteil geht es um Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention

Beide Urteile basieren auf demselben Vorgang. Sie unterscheiden sich jedoch nicht nur bei der Höhe der zugesprochenen Entschädigung, sondern auch hinsichtlich der juristischen Sichtweise und Bewertung: Das Haager Schiedsgericht ahndete eine Verletzung der Europäischen Energiecharta. Rußland hat diese Charta nach der Unterzeichnung zwar nicht ratifiziert, weshalb sie völkerrechtlich nicht bindend wurde. Es hatte sich aber einverstanden erklärt, die Charta dem Schiedsverfahren zugrunde zu legen. Der Straßburger Gerichtshof befand dagegen über jene Schadenersatzansprüche, die sich aus Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention ergaben, die er bereits in einem Urteil vom September 2011 festgestellt hatte. Sein Urteil bindet Rußland in jedem Falle völkerrechtlich, da es nach seinem Beitritt zum Europarat auch die Europäische Menschenrechtskonvention ratifiziert hat.

Yukos-Konzern klagte selber, bevor er zerschlagen wurde

Ein weiterer juristischer Unterschied der beiden Verfahren besteht darin, daß die Klage vor dem Haager Schiedsgericht von ehemaligen Yukos-Aktionären betrieben wurde, während die Klage vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte am 23. April 2004 vom Unternehmen Yukos selber eingereicht worden war. Als diese Klage am 29. Januar 2009 teilweise zugelassen wurde, existierte das Unternehmen bereits nicht mehr, da es als Folge der staatlichen Repressionen am 4. August 2006 für insolvent erklärt und am 12. November 2007 liquidiert worden war. Das jetzt ergangene Urteil bestimmt deshalb ersatzweise die früheren Yukos-Aktionäre bzw. deren Erben als Empfänger der Entschädigungszahlungen.

Das aktuelle Straßburger Urteil und sein Vorläufer aus dem Jahr 2011 müssen ferner von jenen Klagen unterschieden werden, die die beiden ehemaligen Yukos-Chefs Michail Chodorkowskij und Platon Lebedew vor demselben Gerichtshof wegen ihrer persönlichen Behandlung durch die russischen Behörden erhoben haben. Diese Verfahren wurden im März 2006 bzw. März 2005 eröffnet und am 25. Juli 2013 mit der Verkündung eines weiteren Urteils abgeschlossen. Beide Prozesse fanden vor unterschiedlichen Kammern statt: Die Yukos-Klage wurde von sieben Richtern verhandelt, die aus Griechenland (Vorsitz), Aserbaidschan, Kroatien, Luxemburg, Norwegen, der Schweiz und Rußland stammten. Die ebenfalls sieben Richter, die über die Klagen von Chodorkowskij und Lebedew befanden, stammten dagegen aus Monaco (Vorsitz), Aserbaidschan, Griechenland, Kroatien, Mazedonien , Norwegen und Rußland. In beiden Kammern vertreten war lediglich der Richter aus Aserbaidschan.

Politische Instrumentalisierung von Behörden und Justiz wurde in Straßburg ausgeblendet

Gemeinsam war allen Urteilen des Straßburger Gerichtshofs, daß sie – im Gegensatz zum Haager Schiedsgerichtshof – eine politische Motivation des staatlichen Vorgehens gegen Yukos nicht erkennen konnten oder wollten. Sie sahen weder das Diskriminierungsverbot in Artikel 14 der Menschenrechtskonvention verletzt noch den Artikel 18, der die Einschränkung von Rechten und Freiheiten nur zu jeweils genau umrissenen Zwecken erlaubt und damit politischen Mißbrauch untersagt. Die Richter zeigten dabei eine erstaunliche Blindheit gegenüber dem russischen Wirtschaftsleben, das von Behördenwillkür, Korruption, Kungeleien und allerlei krummen Touren geprägt wird. Zum Beispiel verwarfen sie das Argument, daß die Yukos vorgeworfenen Steuerdelikte auch bei anderen Unternehmen zu finden gewesen wären, wenn die Staatsmacht nur gewollt hätte. Yukos sei ein diesbezüglicher Nachweis nicht gelungen. Ein solcher Nachweis war freilich schon deshalb unmöglich, weil die Staatsmacht sich aus politischen Gründen allein auf Yukos stürzte und durchaus bewußt die anderen Oligarchen verschonte.

"Keiner der Vorwürfe gegen die Antragsteller betraf ihre politischen Aktivitäten", hieß es auch im Urteil zu Chodorkowskij und Lebedew. Die ihnen vorgeworfenen Handlungen seien "nicht direkt mit ihrer Beteiligung am politischen Leben verknüpft" gewesen. Die Anklagen gegen die beiden hätten einen "gesunden Kern" gehabt. Man könne deshalb nicht davon ausgehen, daß die Antragsteller bei einem korrekten Verfahren einer Verurteilung entgangen wären.

Urteil beschränkt sich auf andere Verletzungen der Menschenrechtskonvention

Auf Grundlage dieser formalistischen Sichtweise, die prinzipiell rechtsstaatliche Zustände in Rußland unterstellt, entdeckten die Richter dann aber doch einige Verstöße gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Zum Beispiel sahen sie in dem von Yukos angestrengten Verfahren das in Artikel 6 garantierte Recht auf ein faires Verfahren verletzt, weil Yukos nicht genügend Zeit eingeräumt wurde, um sich gegen die Vorwürfe der Behörden zu verteidigen. Dieses Votum kam mit sechs gegen eine Stimme zustande, wobei letztere dem russischen Richter Bushev gehört haben dürfte. Mit knapper Mehrheit (vier gegen drei Stimmen) erkannten sie ferner auf einen Verstoß gegen Artikel 1 des Protokolls Nr. 1, der den Schutz des Eigentums gewährleistet, weil Yukos rückwirkend mit unverhältnismäßig hohen Forderungen belastet wurde. In ähnlicher Weise beanstandete die Kammer, die über die Klagen von Chodorkowskij und Lebedew zu befinden hatte, die erniedrigende Behandlung Lebedews durch öffentliche Zurschaustellung in einem Metallkäfig (Artikel 3) und die Verbringung der beiden in ein sibirisches Straflager, das tausende von Kilometern von ihrem Wohnsitz und ihren Familien entfernt war (Artikel 8).

Trotz der weit geringeren Entschädigung trifft die Verurteilung den Kreml erheblich

Die Entschädigung, die der Straßburger Gerichtshof dem Yukos-Konzern nun aufgrund des 2011 ergangenen Urteils zuerkannte, ist mit knapp 1,9 Millionen Euro rund zwanzigmal geringer als die vom Haager Schiedsgericht bestimmte Summe. Dennoch dürfte sie dem Kreml schwerer im Magen liegen. Da er die Menschenrechtskonvention 1998 ratifiziert hat, kann er sich nicht einfach der Zahlung entziehen, ohne die seit 1996 bestehende Mitgliedschaft im Europarat aufs Spiel zu setzen, die ihrerseits Voraussetzung für den Beitritt zur Konvention war. Er kann nun zwar gemäß Artikel 44 der Europäischen Menschenrechtskonvention die Verweisung der Rechtssache an die mit siebzehn Richtern besetzte Große Kammer beantragen. Indessen ist fraglich, ob diese dem Antrag überhaupt stattgeben wird. Und falls sie es tut, wird sie das Urteil wahrscheinlich bestätigen.

Russische Auslandspropaganda droht bereits mit dem Austritt aus dem Europarat

Die für die Auslandspropaganda produzierte Rußland-Zeitung "Russia Beyond The Headlines" drohte vor diesem Hintergrund bereits mit dem Austritt des Landes aus dem Europarat. "Es ist durchaus wahrscheinlich, daß die russische Regierung aus eigenem Antrieb heraus die Frage in den Raum stellt, ob man den Europarat verläßt", schrieb sie am 5. August. "Schon jetzt hört man vielerorts, dass ein Krieg gegen Rußland im Gange sei und die Entscheidungen der Gerichte in Straßburg und Den Haag politisch motiviert seien. Die zielten darauf ab, die Wirtschaft des Landes zu untergraben und den Russen vor den Kopf zu stoßen. Wenn man die Antworten der letzten Meinungsumfragen betrachtet, dann kann sich die Regierung bei diesem Schritt der Unterstützung der Öffentlichkeit sicher sein. Nur wenige Russen würden sich über einen Austritt aus dem Europarat wirklich ärgern." Für den Artikel zeichnete ein gewisser Pawel Tschikow verantwortlich, der als promovierter Rechtswissenschaftler und Mitglied des (russischen) Präsidialrates für Menschenrechte vorgestellt wurde.

"Süddeutsche Zeitung" stoppt Beilage "Rußland heute"

Im Unterschied zur Inlandspropaganda bedient sich "Russia Beyond The Headlines" üblicherweise einer differenzierten Darstellung und gemäßigten Sprache, bis hin zu einer pseudo-kritischen Attitüde gegenüber den russischen Zuständen. Das vom Kreml finanzierte Monatsblatt wird nämlich einer Reihe führender Zeitungen der westlichen Welt als bezahlte Beilage beigefügt und kann bei oberflächlicher Lektüre mit einem hauseigenen Verlagsprodukt verwechselt werden. Zum Beispiel erschien es in Deutschland unter dem Titel "Rußland heute" als Beilage der "Süddeutschen Zeitung". Die Verlagsleitung ließ sich auch durch Proteste aus der Redaktion nicht bewegen, auf das Geschäft mit der russischen Auslandspropaganda zu verzichten. Erst unter dem Eindruck der Ukraine-Krise verfügte sie im März – und zwar "in Absprache mit dem Kunden" – eine "Verschiebung" des Erscheinungstermins. Seitdem ist in der SZ keine weitere "Rußland heute"-Beilage mehr erschienen.

Chodorkowskij zeigt Verständnis für die politische Zurückhaltung des Straßburger Gerichts

In einem Interview mit der russischen Ausgabe des Wirtschaftsmagazins "Forbes" bekundete der frühere Yukos-Eigentümer Michail Chodorkowskij Verständnis für die politische Zurückhaltung des Straßburger Gerichtshofs: Im Unterschied zum Haager Schiedsgericht müsse dieser weitaus strengere Maßstäbe anlegen, um eine politische Instrumentalisierung von Justiz und Behörden bei der Zerschlagung von Yukos festzustellen. Das Urteil bedeute in dieser Hinsicht auch keinen Freispruch für das Putin-Regime, da es den Verzicht auf eine Verurteilung ausdrücklich mit der unzulänglichen Beweislage begründe (siehe Link zu dem Interview).

Chodorkowskij lebt seit seiner Entlassung in der Schweiz, wo sich auch der größte Teil des ihm noch verbliebenen Vermögens befindet. Trotz aller Verluste dürfte der einst reichste Mann Rußlands heute noch immer zu den Multimillionären zählen. Er hat dies einer Entscheidung des Schweizerischen Bundesgerichts zu verdanken, das 2007 den Antrag Moskaus auf Herausgabe der in der Schweiz befindlichen Yukos-Gelder endgültig ablehnte: Dem Ersuchen um Rechthilfe könne nicht stattgegeben werden, weil es sich um ein politisch motiviertes Verfahren handele. Die 6,2 Milliarden Franken, um die es dabei gegangen sein soll, gehörten allerdings nicht Chodorkowskij allein.

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