Juli 2014 |
140701 |
ENERGIE-CHRONIK |
Neben den 50.020.867.798 Dollar Entschädigung, die der Schiedsgerichtshof den drei Firmen der Menatep-Gruppe zugebilligt hat, muß die russische Regierung den Klägern 60 Millionen an Anwalts- und 4,24 Millionen an Gerichtskosten erstatten. Diese zusätzlichen 64 Millionen Dollar sind für sich schon eine Menge Geld. Sie machen aber gerade mal 0,13 Prozent der Gesamtsumme aus. |
Der Ständige Schiedsgerichtshof in Den Haag hat ehemaligen Aktionären des russischen Ölkonzerns Yukos eine Entschädigung von insgesamt rund 50 Milliarden Dollar (etwa 37,2 Milliarden Euro) zugesprochen, weil sie von der russischen Regierung willkürlich enteignet wurden. Die Kläger hatten über 100 Milliarden Dollar verlangt. Der Schiedsgerichtshof halbierte also ihre Forderungen. Die drei Einzelentscheidungen sind vom 18. Juli datiert und wurden am 28. Juli veröffentlicht. Die drei Richter begründeten den einstimmig gefaßten Spruch damit, daß die Zerschlagung von Yukos gegen Artikel 13 Absatz 1 der Europäischen Energiecharta verstoßen habe, die Enteignungen von ausländischen Investoren nur nach rechtstaatlichen Grundsätzen und gegen eine angemessene Entschädigung zuläßt (siehe Wortlaut der Charta).
Rußland ist seit 114 Jahren Mitglied des Haager Schiedsgerichtshofs. Vor allem hat es am 31. Oktober 2005 bei einer ersten Anhörung der Beteiligten dem Verfahren ausdrücklich zugestimmt. Unter anderem wurde vereinbart, der Entscheidung die Grundsätze der Europäischen Energiecharta von 1994 (ECT) sowie die Schiedsregeln der UN-Kommission für Internationales Handelsrecht von 1976 (UNCITRAL) zugrunde zu legen. Insoweit spielte es für das Verfahren keine Rolle, daß Rußland lediglich die erste Absichtserklärung zur ECT aus dem Jahr 1991 (911204) sowie – nach langem Zögern – das Lissabonner Abschlußdokument aus dem Jahr 1994 unterzeichnete (941204, 980405), den Vertrag aber nie durch die Duma ratifizieren und damit völkerrechtlich bindend machen ließ.
Dennoch ist der Kreml nicht bereit, die nun verfügten Entschädigungen zu zahlen, die bis zum 15. Januar 2015 fällig wären und mehr als zehn Prozent der russischen Währungsreserven beanspruchen würden. Noch am selben Tag, an dem das Urteil bekannt wurde, pochte er auf die Nichtratifizierung der Energiecharta. Laut der etwas holprigen Übersetzung im deutschsprachigen Dienst der Agentur Ria Novosti erklärte das Finanzministerium wörtlich: "Die Russische Föderation hat den Vertrag über die Energie-Charta nie ratifiziert. Zudem hatte sich Rußland auch nicht von Bestimmungen dieses Vertrages leiten lassen, deren Anwendung, auch nur zeitweilig, gegen die Verfassung, Gesetze und Normativakte der Russischen Föderation zuwidergelaufen wäre."
Aufgrund des Haager Entscheids können die Kläger nun aber eventuell auf russisches Auslandsvermögen zugreifen. Es handelt sich bei ihnen um drei außerhalb Rußlands angesiedelte Unternehmen, die insgesamt 70,5 Prozent der Yukos-Aktien besaßen. Davon entfielen 56,3 Prozent auf die Hulley Enterprises Ltd und 2,6 Prozent auf die Yukos Universal Ltd (YUL). Diese beiden Unternehmen waren im September 1997 gegründet worden, wobei die auf der Isle of Man registrierte YUL zugleich als Muttergesellschaft der auf Zypern eingetragenen Hulley Enterprises fungierte. Als dritter Kläger trat die Veteran Petroleum auf, die im Februar 2001 auf Zypern gegründet wurde und 11,6 Prozent an Yukos hielt. Die drei Firmen gehörten ihrerseits zu der auf Gibraltar registrierten Group Menatep Ltd (GML) des einstigen stellvertretenden Yukos-Chefs Leonid Newslin, dem der von Putin verfolgte Yukos-Chef Michail Chodorkowskij 2005 seine Anteile übertragen hatte. Newslin ist in Rußland wegen angeblicher Beteiligung an einem Mordkomplott zu lebenslanger Haft verurteilt worden – allerdings in Abwesenheit, da er rechtzeitig nach Israel geflohen war.
Der frühere Yukos-Chef Michail Chodorkowskij erklärte auf seiner Internet-Seite, daß er an diesem Gerichtsverfahren nicht beteiligt gewesen sei und auch nicht versuchen werde, davon zu profitieren. Es sei aber "fantastisch", daß die Aktionäre nunmehr eine Chance auf Schadenersatz hätten. Zum ersten Mal habe ein unabhängiges Gericht die Yukos-Affäre insgesamt untersucht, Beweise erhoben und Zeugenaussagen gehört. Yukos sei das Opfer einer ungenierten Plünderung durch "Mafiosi" geworden. Bedauerlicherweise müßten die Entschädigungen nun vom russischen Staat bezahlt werden, anstatt von diesen Mafiosi, die mit der Staatsmacht und Putin-ergebenen Oligarchen paktiert hätten.
Anscheinend hatte der Kreml darauf vertraut, daß der Schiedsgerichtshof in Den Haag die Europäische Energiecharta in ähnlicher Weise seinen Gunsten auslegen und den Klägern allenfalls kleine Konzessionen machen werde, wie dies mit der Auslegung der Europäischen Menschenrechtskonvention geschehen war. Diese Konvention ist für Rußland völkerrechtlich bindend, da es sie als Mitglied des Europarats 1998 ratifiziert hat. Der Yukos-Chef Chodorkowskij und seine Anwälte hatten deshalb zunächst große Hoffnungen auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg gesetzt (050914). In zwei Urteilen, die 2011 und 2013 ergingen, kritisierten die Straßburger Richter aber lediglich die Art der Prozeßführung gegen Chodorkowskij. Eine politische Motivation des Verfahrens konnten oder wollten sie nicht erkennen, obwohl diese für jeden halbwegs vernünftigen Beobachter mit Händen zu greifen war (131211).
Der russische Präsident Putin hatte im Oktober 2003 den Chef des Erdölkonzerns Yukos, Michail Chodorkowskij, verhaften und den größten Teil der Yukos-Aktien beschlagnahmen lassen. Der Kremlchef wollte damit den neureichen "Oligarchen" signalisieren, daß er ihnen ihre Riesenvermögen, die sie unter dubiosen bis kriminellen Umständen zusammengerafft hatten, nur bei politischem Wohlverhalten belassen würde. Vor allem machte er damit deutlich, daß die Machthaber im Kreml den Großteil der Erlöse aus dem Export der russischen Bodenschätze für sich selber beanspruchen und deshalb einen Ausverkauf der russischen Gas- und Ölförderung an ausländische Konzerne nicht dulden würden. Chodorkowskij hatte diese politischen Tabus verletzt, indem er auf liberale Reformen drängte, oppositionelle Medien förderte und mit US-Konzernen über den Einstieg in sein Ölunternehmen Yukos verhandelte (031117).
Ein Jahr später wurde die Yukos-Tochter Yuganskneftegaz zwangsversteigert und dem Staatskonzern Rosneft einverleibt (041210). Im Mai 2005 wurden Chodorkowskij und sein Geschäftspartner Platon Lebedew zu je neun Jahren Straflager verurteilt (050610). Ein Berufungsgericht reduzierte die Strafe anschließend auf acht Jahre (050914) . Im Februar 2007 brachte Putin ein zweites Strafverfahren in Gang, um beide noch länger inhaftieren zu können (070214). Es endete mit einer Verlängerung der Haft auf jeweils 14 Jahre. Aber auch hier folgten anschließend wieder Abstriche am Strafmaß. Im Dezember 2013 wurde Chodorkowskij nach insgesamt zehnjähriger Inhaftierung von Putin "begnadigt" (131211). Einen Monat später kam auch Lebedew frei. Im Unterschied zu Chodorkowskij darf er aber Rußland nicht verlassen. Der Kreml begründet das Ausreiseverbot damit, daß er erst eine angebliche Steuerschuld in Höhe von 370 Millionen Euro bezahlen müsse.
Das wichtigste Produktionsunternehmen des Yukos-Konzerns, die Öl-Fördergesellschaft Yuganskneftegaz, sollte zuerst von Gazprom übernommen werden. Die westlichen Banken, die Gazprom dafür einen Kredit von zehn Milliarden Dollar zur Verfügung stellen wollten, bekamen aber kalte Füße, nachdem die Yukos-Anwälte mit Schadenersatzansprüchen drohten. Deshalb wurde Yuganskneftegaz 2004 dem Staatsunternehmen Rosneft einverleibt (041210). Im Juli 2006 verkaufte Rosneft 14,8 Prozent seines Kapitals für 10,4 Milliarden Dollar an private Investoren. Das Management des Yukos-Konzerns versuchte vergebens, den Londoner Börsengang von Rosneft vor Gericht mit dem Argument zu verhindern, daß die Yuganskneftegaz durch Rosneft praktisch "gestohlen" worden sei (060706).
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