Dezember 2014 |
141215 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Stadt Titisee-Neustadt hat beim Bundesverfassungsgericht eine Kommunalverfassungsbeschwerde eingereicht. Wie Bürgermeister Armin Hinterseh (CDU) am 11. Dezember mitteilte, richtet sich die Klage gegen das Ansinnen des Bundeskartellamts, die 2011 erfolgte Konzessionsvergabe an die Energieversorgung Titisee-Neustadt (evtn) rückgängig zu machen, weil die Kriterien für die Vergabe zu kommunalfreundlich gewesen seien. Die Schwarzwaldgemeinde sieht in dieser Sichtweise einen Angriff auf das im Grundgesetz-Artikel 28 garantierte Recht der kommunalen Selbstverwaltung.
Grundsätzlich richtet sich die Verfassungsbeschwerde gegen das "kartellrechtliche Regime der Konzessionsvergabe", wie es über die Kartell- und Verwaltungsgerichte in die Rechtsprechung gelangte und inzwischen auch höchstrichterlich abgesegnet wurde. Zum Beispiel hat der Bundesgerichtshof vor einem Jahr die Konzessionsverträge für ungültig erklärt, die 36 schleswig-holsteinischen Gemeinden sowie die Stadt Heiligenhafen mit kommunalen Netzbetreibern geschlossen hatten. Zur Begründung hieß es, die Gemeinden hätten die Kriterien für die Neuvergabe der Konzession und deren Gewichtung einseitig zugunsten einer kommunalen Beteiligung an der Netzgesellschaft gestaltet. Dies verstoße aber gegen § 20 Abs. 1 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sowie das Diskriminierungsverbot in § 46 EnWG. Außerdem hätten sie diese Auswahlkriterien nicht vorrangig am Ziel einer "möglichst sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen" Versorgung ausgerichtet, wie es in § 1 EnWG formuliert wird (131208).
Diese gravierende Beschränkung des kommunalen Selbstverwaltungsrechts sei mit dem Grundgesetzartikel 28 nicht vereinbar, heißt es in der Verfassungsbeschwerde. Die Entscheidung einer Gemeinde, eine Aufgabe der Daseinsvorsorge selber zu erfüllen, bedürfe nach geltendem Verfassungsrecht nicht der Rechtfertigung. "Rechtfertigungsbedürftig sind vielmehr staatliche Reglementierungen, die die eigenverantwortliche Entscheidung der Kommune über die Art und Weise der Aufgabenerfüllung beschränken."
Bürgermeister Hinterseh verwies darauf, daß die evtn das Stromnetz, das sie von der EnBW-Tochter "Energiedienst" gekauft hat, seit mehr als zweieinhalb Jahren absolut versorgungssicher betreibe. Der neugegründete Versorger gehöre zu 60 Prozent der Stadt Titisee-Neustadt, zu 30 Prozent den Elektrizitätswerken Schönau eG (EWS) und zu 10 Prozent einer lokalen Bürgergenossenschaft (Vita-Bürger-Energie eG). Er sei damit ein "bürgerschaftliches Bilderbuch-Projekt".
Die Stadt Heiligenhafen hatte nach dem negativen Urteil des Bundesgerichtshofs ebenfalls eine Verfassungsbeschwerde eingereicht, deren Annahme aber vom Bundesverfassungsgericht im Juni dieses Jahres ohne Begründung abgelehnt wurde. In Titisee-Neustadt ist man dennoch zuversichtlich, daß es sich die Karlsruher Richter mit der 139 Seiten starken Klageschrift, die von der Freiburger Kanzlei Wurster, Weiß und Kupfer verfaßt wurde, nicht so einfach machen können. Heiligenhafen hat inzwischen die Konzessionsvergabe neu aufgerollt und will dabei versuchen, die vom Bundesgerichtshof gebilligten Minenfelder des "kartellrechtlichen Regimes der Konzessionsvergabe" so gut wie möglich zu meiden.