November 2019 |
191105 |
ENERGIE-CHRONIK |
Enercon ist in Deutschland klarer Marktführer, rangiert in Europa aber hinter der dänischen Vestas und hat auf dem Weltmarkt noch vier weitere Konkurrenten vor sich. |
Der Bau von landgestützten Windkraftanlagen ist in Deutschland fast zum Erliegen gekommen. Vor diesem Hintergrund will der inländische Marktführer Enercon rund 3000 Arbeitsplätze beseitigen und die Produktion verstärkt ins Ausland verlagern. Es handelt sich um jeweils 1500 Stellen am Firmensitz Aurich (Niedersachsen) und in Magdeburg (Sachsen-Anhalt). Sie haben mit der Rotorblatt-Fertigung zu tun, die künftig in Portugal erfolgen soll. Nach der Insolvenz von Senvion (190408) sowie den Stellenstreichungen bei Siemens-Gamesa und Vestas (191013) ist das eine weitere Schreckensnachricht aus einer Branche, die noch vor kurzem jedes Jahr neue Zubau-Rekorde aufstellte. Schon im Vorjahr hat Enercon rund 800 Arbeitsplätze abgebaut.
"Die Politik hat uns den Stecker gezogen", begründete Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig die geplanten Stellenstreichungen. Das sieht der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) ein bißchen anders: "Es waren sicher auch Versäumnisse des Unternehmens selbst, die zu der aktuellen Situation geführt haben", meinte er am 19. November in einer Regierungserklärung vor dem Landtag. Er sage dies, "um Mißverständnissen vorzubeugen". Der Ministerpräsident führte diesen Punkt aber nicht näher aus, sondern widmete sich ganz einem Plädoyer für den weiteren Ausbau der Windenergie.
Es gehe nicht allein um Enercon, betonte Weil. In den vergangenen drei Jahren seien in der deutschen Windindustrie mehr als 40.000 Arbeitsplätze abgebaut worden – doppelt so viele, als es insgesamt in der Braunkohleindustrie gebe. Im Grunde genommen sei in den vergangenen zwei Jahren der Markt für Windräder zusammengebrochen. In diesem Jahr werde der Zubau voraussichtlich um nahezu 80 Prozent hinter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre zurückbleiben. Und auch die Zukunftsperspektive sei miserabel. Wenn sich nichts ändere, werde die deutsche Windindustrie denselben Weg gehen wie die deutsche Solarindustrie. Anstelle eines weiteren Zubaues drohe sogar eine Verringerung des bisher erreichten Bestands an Windkraftkapazitäten, weil in den nächsten Jahren immer mehr Windräder der ersten Generation aus dem Markt genommen würden, die dann "das Ende ihres Lebenszyklus erreicht" hätten (das Auslaufen der EEG-Förderung nach zwanzig Jahren als noch wichtigeren Grund erwähnte Weil nicht).
Dieser anstehende Erneuerungsbedarf müsse "rasch und unkompliziert" durch Windräder der neuen Generation gedeckt werden, die wesentlich leistungsfähiger, aber auch höher seien. Andernfalls werde in Deutschland weniger Windstrom produziert und das politische Ziel gefährdet, bis 2030 den deutschen Strombedarf zu 65 Prozent aus erneuerbaren Quellen zu decken. Der tatsächliche Bedarf werde ohnehin noch größer sein, wenn man etwa die geplante Entwicklung der Elektromobilität berücksichtige, die nur insoweit einen klimapolitischen Nutzen bringt, als der Strom aus erneuerbaren Quellen stammt.
Die neuen Chancen, die sich dadurch der Windindustrie bieten, seien aber unvereinbar mit den derzeitigen Plänen, die Errichtung von Windkraftanlagen nur noch mit einem Mindestabstand von tausend Metern zu Wohngebieten zu erlauben. Das vom Bundeswirtschaftsministerium erwogene Abstandsgebot würde beispielsweise in Niedersachsen dazu führen, dass vorab nur noch 3,6 Prozent der Landesfläche für WKA-Projekte in Frage kämen. Nach Abzug weiterer Schutz- und Nutzungsbelange bleibe faktisch kaum etwas übrig – vor allem dann, wenn schon fünf Häuser als Wohngebiet gelten, wie dies ein Referentenentwurf vorsehe. "Wir sind uns in der Landesregierung einig, dass wir die 1000-Meter-Abstandsregel in Niedersachsen nicht übernehmen", kündigte Weil an. "Wir werden von der vorgesehenen Öffnungsklausel für unser Land Gebrauch machen und erarbeiten derzeit eine für Niedersachsen angemessene Lösung, mit der ein Schutz der Bevölkerung gewährleistet ist und die der Windenergie weiterhin eine faire Chance gibt."
Fünf Unternehmensverbände und der Deutsche Gewerkschaftsbund appellierten am 13. November ebenfalls an das Bundeswirtschaftsministerium, auf verschärfte Abstandsregelungen zu verzichten, die den Bau neuer Windkraftanlagen noch mehr erschweren würden. Die geplante Regelung würde "alle weiteren Bemühungen zur Stärkung des Windenergieausbaus zunichtemachen und die Windenergie an Land dramatisch schwächen", hieß es in dem Schreiben. Bei den fünf Branchenverbänden handelte es sich um den Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), den Bundesverband der deutschen Industrie (BDI), den Verband kommunaler Unternehmen (VKU), den Bundesverband Windenergie (BEW) und den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau (VDMA).
Auch das Land Sachsen-Anhalt wird – wie Niedersachsen –
den vom Bundeswirtschaftsministerium geplanten gesetzlichen Mindestabstand von
tausend Metern zu einer Wohnbebauung nicht übernehmen. Dies kündigte
die Landesumweltminsterin Claudia Dalber (Grüne) am 21. November an. Durch
eine starre Mindestabstandsregelung würden sonst bis zu 50 Prozent der
für den Ausbau der Windenergie benötigten Fläche verloren gehen,
erklärte sie im Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB).
Bei einem Gespräch in der Hannoveraner Staatskanzlei beharrte Enercon auf seinen Plänen. Ersatzweise betonte man auf einer anschließenden Pressekonferenz den Minimalkonsens, dass die Politik handeln müsse, um den Niedergang der deutschen Windindustrie aufzuhalten. Das Foto zeigt v.l.n.r den Wirtschaftsminister von Sachsen-Anhalt, Armin Willingmann, den Enercon-Geschäftsführer Hans-Dieter Kettwig, den niedersächsischen Ministerpräsidenten Stephan Weil und den niedersächsischen Wirtschaftsminister Bernd Althusmann. |
Enercon gilt als öffentlichkeitsscheu. Auf der Internetseite des Unternehmens gibt es weder Pressemitteilungen noch ist ein Ansprechpartner für Medienanfragen vorgesehen. Auch die jetzt geplanten Stellenstreichungen wurden erst durch einen Bericht der "Süddeutschen Zeitung" (8.11.) bekannt, nachdem sie große Unruhe unter den Betroffenen ausgelöst hatten. Anders als im Vorjahr schien die Geschäftsführung dieses Mal zu Verhandlungen über Abstriche bereit zu sein. Am 13. November fand ein Gespräch mit den Landesregierungen von Niedersachsen und Sachsen-Anhalt statt. Bei der anschließenden Pressekonferenz wurde allerdings klar, dass Enercon an Stellenstreichungen und Produktionsverlagerung festzuhalten gedenkt. "Wieder stellt das Unternehmen alle vor vollendete Tatsachen", erklärte dazu die IG Metall Küste. "Mit ihrem arroganten und brutalen Verhalten hat die Geschäftsführung erneut die Beschäftigten und die Region brüskiert."
Das Unternehmen produziert nur landgestützte Windkraftanlagen mit Direktantrieb und gilt auf diesem Gebiet als innovativ. Zu Anfang der neunziger Jahre präsentierte es erstmals einen Prototyp, bei dem das bisher notwendige Getriebe zwischen Rotor und Generator entfiel. Die Maschinenhäuser des ersten Serienmodells E-40 hatten dadurch ein scheibenförmiges Aussehen. Ab Mitte der neunziger Jahre bekamen die Gondeln dann ihre typische, eiförmige Gestalt, die von dem britischen Architekten Norman Foster entworfen wurde, der unter anderem die Kuppel des Reichstags konstruierte. Dadurch sind sie leicht von den Anlagen anderer Hersteller zu unterscheiden. Anfängliche Probleme mit abfallenden Generatorköpfen (990326) konnten überwunden werden. Dass Enercon bis heute keine Offshore-Anlagen anbietet, dürfte allerdings noch immer mit der bauartbedingten Schwere der Gondeln zu tun haben.
Als eher rückschrittlich gilt Enercon dagegen auf dem Gebiet der Unternehmensführung. Gewerkschafter hegen sogar den Verdacht, dass die Aufsplitterung des Gesamtunternehmens in eine unübersehbare Vielzahl von Einzelfirmen nur dem dem Zweck dient, die Rechte der Beschäftigten nach dem Betriebsverfassungsgesetz so weit wie möglich auszuhebeln. In der Landtagssitzung am 19. November sprach der CDU-Abgeordnete Ulf Thiele diesen Punkt an, indem er dem Unternehmen eine "Kaltschnäuzigkeit" vorwarf, die ihn "traurig und wütend" mache. Die angeblichen Zulieferer, bei denen nun Arbeitsplätze gestrichen werden, seien in Wirklichkeit Tochterunternehmen, die über eine Briefkastenfirma im Ausland geführt würden und "ohne Zustimmung der Enercon-Spitze nicht einmal einen Bleistift bestellen" könnten. Das Unternehmen habe viele Jahre von der staatlichen Förderung der Windkraft profitiert. Es werde aber negative Auswirkungen auf die Ausgestaltung und Akzeptanz der Energiewende haben, wenn die Gewerkschaften über Einschüchterungsmethoden klagten und Enercon sich bei dem nun geplanten Arbeitsplatzabbau "verantwortungslos und menschenverachtend" verhalte.
Das Unternehmen wurde 1984 von dem heute 67-jährigen Ingenieur Aloys Wobben gegründet, der sich 2012 aus dem Tagesgeschäft zurückzog und das gesamte Kapital einer nach ihm benannten "Familienstiftung" übertrug. Nach letzten Angaben, die im Mai dieses Jahres im "Bundesanzeiger" veröffentlicht wurden, erzielte die Enercon-Gruppe 2017 einen Umsatz von 5,6 Milliarden Euro und einen Bilanzgewinn von 111,3 Millionen Euro. Insgesamt beschäftigte sie 4.510 Mitarbeiter, davon 2.922 im Ausland. Als voll konsolidierte Gesellschaften nennt die Holding UEE GmbH neben der Enercon GmbH noch 364 andere Unternehmen. Meistens handelt es sich um Windparks. Hinzu kommen 160 weitere Beteiligungen.
Zu den 24 Beteiligungen, die der Konzernabschluss deshalb nicht
berücksichtigt, weil sie "nur von untergeordneter Bedeutung"
seien, gehört die Stadtwerke Aurich GmbH, an der Enercon mit 40 Prozent
beteiligt ist (131112). Das Gemeinschaftsunternehmen
wollte einst die Strom- und Gasnetze des Regionalversorgers EWE übernehmen.
Dies ist ihm allerdings nicht gelungen, weil der Altkonzessionär EWE die
Neuvergabe der städischen Konzessionen an die Stadtwerke zweimal erfolgreich
anfocht und sich auch im Vertriebsgeschäft als ungleich potenter erwies
(161114). Im Sommer dieses Jahres schlug deshalb der
frisch gewählte Bürgermeister Horst Feddermann (parteilos) vor, die
defizitären Stadtwerke wieder abzuwickeln. Möglicherweise übernimmt
auch EWE die bisherige Enercon-Beteiligung.