September 2021

210903

ENERGIE-CHRONIK





Diese Grafik veranschaulicht, wie wirkungslos der 2005 gestartete Handel mit Emissionsberechtigungen bis vor kurzem war: In den ersten drei Handelsperioden kostete ein EUA-Zertifikat zwölf Jahre lang durchschnittlich weniger als zehn Euro. Davon konnte keine klimaschützende Wirkung ausgehen. Eine Verbesserung ergab sich erst im Laufe des Jahres 2018, nachdem die EU-Gremien endlich die längst überfällige Reform zur Verknappung der Zertifikate beschlossen hatten. In den letzten drei Jahren der dritten Handelsperiode stieg dadurch der Durchschnittspreis, der zuvor bei 5,76 Euro gelegen hatte, auf 21,62 Euro. Der Durchbruch zu einer wirklich klimawirksamen Preishöhe erfolgte aber erst jetzt in der vierten Handelsperiode, die 2021 begann und bis 2030 dauert: Von Januar bis Mitte September stieg der Durchschnittspreis für ein EUA-Zertifikat auf knapp 50 Euro. Der vorerst höchste Stand wurde Mitte September mit 61,9 Euro erreicht.

Preis für Emissionsberechtigungen hat sich seit Jahresanfang verdoppelt

Die Preise für EUA-Zertifikate sind stark gestiegen, seitdem am 1. Januar die vierte Periode des Handels mit Emissionsberechtigungen begann. Am Jahresende 2020 kostete ein EUA ("European Union Allowance"), das zur Emission einer Tonne CO2-Äquivalent berechtigt, knapp 31 Euro. Bis Mitte September waren es knapp 62 Euro. Fünfzehn Jahre nach seinem Beginn ist so der Handel mit Emissionsberechtigungen für Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen endlich in einen Bereich vorgestoßen, wo er als Kostenfaktor nicht mehr zu vernachlässigen ist und eine klimaschützende Wirkung entfalten kann.

Überfluss an Zertifikaten verhinderte 15 Jahre lang eine klimaschützende Wirkung

Das wäre sozusagen die gute Botschaft. Die schlechte lautet: Fünfzehn Jahre lang haben es die Staaten der Europäischen Union versäumt, aus dem Emissionshandel ein tatsächlich klimawirksames Instrument zu machen. Anstelle der notwendigen Knappheit gab es ständig einen großen Überschuß an Zertifikaten. Diese waren deshalb spottbillig und konnten keinen Treibhausgas-Emittenten hinter dem Ofen seiner Großfeuerungsanlage hervorlocken. Die anfänglichen Preisspitzen bis knapp 30 Euro in der ersten Handelsperiode beruhten auf Spekulationen und der falschen Annahme, dass tatsächlich der versprochene Mangel herrsche, den das Konzept voraussetzt. Als sich dann der Überschuss herumsprach, fiel der Preis ins Bodenlose und die Notierungen wurde eine Zeitlang ausgesetzt.

Scheinbar lebhafter Handel beruhte zu neunzig Prozent auf betrügerischen Umsatzsteuerkarussellen

Die mit Verspätung gestartete zweite Handelsperiode erbrachte zunächst kümmerliche Preise um 15 Euro, beeindruckte aber durch eine überaus rege Handelstätigkeit. Allerdings stellte sich bald heraus, dass dieser schwunghafte Handel zu neunzig Prozent auf betrügerischen Umsatzsteuerkarussellen beruhte, mit denen Ganoven sich schätzungsweise fünf Milliarden Euro an Steuergeldern ergaunerten (091204). Als Kriminelle dann auch noch in das elektronische Registrierungssystem eindrangen, um Zertifikate im Wert von rund 28 Millionen Euro zu Geld zu machen, mußte die EU-Kommission Anfang 2011 vorübergehend alle europäischen Register sperren (110105).

Auch in der dritten Handelsperiode betrug der EUA-Durchschnittspreis jahrelang nur 5,76 Euro

Nach Unterbindung dieser kriminellen Praktiken sanken die Preise in den einstelligen Bereich. Dort verharrten sie fünf volle Jahre, bis den EU-Gremien endlich klar wurde, dass sie keineswegs ein weltweit vorbildliches Klimainstrument geschaffen hatten, sondern einer weltweiten Blamage entgegensteuerten. So kam es Ende 2017 zu der längst überfälligen Verknappung der Zertifikate (171105), die wenigstens ab der 2021 beginnenden vierten Handelsperiode für klimawirksame EUA-Preise sorgen sollte. Auch in den letzten drei Jahren der dritten Handelsperiode stieg dadurch der Durchschnittspreis, der zuvor bei 5,76 Euro gekrebst hatte, auf immerhin 21,62 Euro.

Neoliberale Ökonomen verteidigten Einpreisung der kostenlos erhaltenen CO2-Zertifikate...

Ein besonderes Trauerspiel boten namhafte Vertreter der Wirtschaftswissenschaften, die diese Vorgänge durch ihre neoliberale Brille betrachteten. Zum Beispiel verteidigte der emeritierte Leiter des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI), Carl Christian von Weizsäcker, das Verhalten der Stromkonzerne, die den Marktwert von EUA-Zertifikaten auf die Strompreise aufschlugen, obwohl sie diese Emissionsgenehmigungen kostenlos erhalten hatten: Dies sei nun mal "die natürliche Antwort wettbewerblicher Märkte auf die vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen" (050901). Auch andere Ökonomen sprachen beschönigend von "Opportunitätskosten", um die schlichte Tatsache zu verschleiern, dass die Konzerne ihre Marktmacht zur Erlangung von "Windfall-Profits" schamlos ausnutzten (060303). Vor soviel aufgebrezeltem Fachjargon kapitulierte selbst das Bundeskartellamt, indem es das erste und einzige Ermittlungsverfahren einstellte (070903). Die "Verpflichtungserklärung", die RWE dafür abgeben musste, erwies sich für den Konzern ebenfalls als gutes Geschäft (080216).

...und forderten die Abschaffung der Erneuerbaren-Förderung zugunsten des Emissionshandels

Noch bevor die erste Handelsperiode überhaupt begonnen hatte, verlangte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium 2004 die Abschaffung der EEG-Förderung, weil "der Beitrag des EEG zur Verminderung der CO2-Emissionen auf auf Null absinkt, sobald der Markt für CO2-Emissionslizenzen funktioniert" (040304). Fünf Jahre später hätten solche neoliberalen Schlaumeier eigentlich wissen müssen, dass der EUA-Markt unter den gegebenen Umständen gar nicht im erwünschten Sinne funktionieren konnte. Dennoch veröffentlichten acht Wirtschaftsprofessoren im März 2009 ein Pamphlet mit dem Titel "Die Energie-Lüge". Darin forderten sie ebenfalls die Abschaffung der Erneuerbaren-Förderung, weil das EEG mit dem Emissionshandel kollidiere. Es verhalte sich nämlich so, daß die deutschen Stromerzeuger die mit Hilfe des EEG erzielten Emissionsminderungen in Form von dadurch freiwerdenden CO2-Zertifikaten an andere Branchen oder ins EU-Ausland verkaufen würden. Das EEG bewirke deshalb lediglich eine Verlagerung von CO2-Emissionen aus dem Bereich der Stromwirtschaft in andere Branchen oder EU-Länder. Per Saldo werde so "tatsächlich nicht eine einzige Tonne Kohlendioxid eingespart" (090308).

Dass der Emissionshandel wirkungslos blieb, lag am Einknicken der Politik vor der Lobby

Tatsächlich verhielt es sich gerade umgekehrt: Die sinkenden Treibhausgas-Emissionen der deutschen Energiewirtschaft waren im wesentlichen auf den steigenden Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung und damit auf die EEG-Förderung zurückzuführen, während der Emissionshandel kläglich versagte. Das erwähnte Pamphlet stieß deshalb sofort auf den Widerspruch von 14 anderen Professoren, die es mit der Wissenschaftlichkeit genauer nahmen. Vor allem stellten sie fest, dass sowohl das EEG als auch der Emissionshandel grundsätzlich einen Beitrag zur CO2-Minderung leisten könnten, wobei sie keineswegs Gegenspieler sein müssen, sondern sich wechselseitig ergänzen können. Falls tatsächlich unerwünschte Wechselwirkungen auftreten sollten, brauche man nur an den verfügbaren Stellschrauben zu drehen, indem beispielsweise das "Cap" für den Emissionshandel entsprechend angepasst wird.

Das EEG war jedenfalls nicht schuld daran, wenn die EUA-Zertifikate über 15 Jahre hinweg zu billig waren und der Emissionshandel deshalb keinen klimaschützenden Effekt hatte. Die Erneuerbaren-Förderung hat vielmehr verhindert, dass die Klimapolitik der EU zu einem völligen Desaster wurde. Dass der Emissionshandel in der Praxis nicht so funktionierte, wie es theoretisch sein sollte, lag allein am fehlenden politischen Willen bzw. an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den betroffenen Wirtschaftskreisen. Das zeigte auch der Sonderfall Großbritanniens, wo tatsächlich eine effiziente Verknappung der Zertifikate stattfand. Auf der britischen Insel wurde deshalb die Kohleverstromung viel früher unrentabel als in anderen europäischen Ländern. Stattdessen floss viel Geld in die Errichtung von Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee.


Die deutschen Treibhausgas-Emissionen gingen in der Energiewirtschaft (blau) deutlich stärker zurück als in den anderen Sektoren. Dieser Rückgang lag freilich nicht daran, dass die Energiewirtschaft als einziger Bereich dem 2005 gestarteten Handel mit Emissionszertifikaten unterlag, sondern am Erneuerbare-Energien-Gesetz, das die Nutzung fossiler Brennstoffe zur Stromerzeugung zurückdrängte.


Einfacher und effizienter wäre von Anfang an eine europaweite CO2-Steuer gewesen

Inzwischen ist geplant, den Emissionshandel auf Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und andere Bereiche auszuweiten, auf die der größte Teil der CO2-Emissionen entfällt und die bisher nicht von ihm erfasst werden (181004, 191102). Generell wird er als Königsweg zum Klimaschutz angepriesen, obwohl er das bis heute nicht ist und in der Vergangenheit sogar auf schlimme Abwege führte. Simpler und effizienter wäre von Anfang an eine europaweite CO2-Steuer gewesen, wie sie 1992 von der EG-Kommission (920502) sowie der Enquête-Kommission des Bundestags zum Schutz der Erdatmosphäre (920407) vorgeschlagen wurde. Dieser Vorschlag scheitert letztendlich daran, dass die USA nicht mitziehen wollten (930603). Ende 1997 stimmten die Amerikaner auf der Weltklimakonferenz in Kyoto den dort beschlossenen CO2-Minderungsverpflichtungen nur unter der Bedingung zu, daß sie ihre Reduktionsverpflichtungen großteils durch den Kauf von Emissionsberechtigungen anderer Staaten erfüllen dürften (971215). So wurden die Weichen für die Einführung des Handels mit Emissionszertifikaten aufgrund einer Erpressung durch die USA gestellt, obwohl diese anschließend die Umsetzung des Kyoto-Protokolls sabotierten (991125, 001104) und sich nach dem Regierungsantritt von George W. Bush sogar offen weigerten, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen (010303).

Wieviel Spekulation steckt hinter dem gegenwärtigen Höhenflug der EUA-Preise?

Skepsis ist übrigens auch gegenüber dem momentanen Höhenflug der EUA-Preise angebracht. Naturgemäß reflektieren diese nicht unbedingt die reale Belastung der betroffenen Wirtschaftszweige, sondern können auch stark spekulative Momente enthalten. Wer an der Strombörse EEX für den Kauf von EUA zugelassen werden will, braucht selber keinen Bedarf dafür zu haben. Man weiß auch nicht, wer sich da mit Emissionsberechtigungen eindeckt und welche Zwecke er damit verfolgt. Ein guter Teil der EUA-Käufe könnte deshalb dem Zweck dienen, die Preise kurzfristig hochzutreiben, um die Zertifikate mit einem erheblichen Spekulationsgewinn weiterzuverkaufen, bevor das künstlich hochgetriebene Preisniveau zusammenbricht.

Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) begrüßte deshalb am 10. September, dass die EU-Finanzaufsichtbehörde ESMA eine Überprüfung der gegenwärtigen "Preisrallye" am EUA-Auktionsmarkt eingeleitet hat. Anlass war eine Beschwerde des Stromvertriebs Stromio, dem der starke Anstieg der Strompreise am Spotmarkt seine Kalkulation durcheinander brachte, was er auf EUA-Käufe durch kapitalkräftige Spekulanten zurückführt. Der Zweck des europäischen Kohlenstoffmarktes "sollte darin bestehen, den Klimawandel zu den geringstmöglichen Kosten zu bekämpfen, anstatt ein Casino für Hedge-Fonds zu sein, in dem ein Vermögenstransfer von den Endverbrauchern zu den Hedge-Fonds stattfindet", heißt es in dem Beschwerdeschreiben des Stromvertriebs an die EU-Finanzaufsicht.

Im September kostete die Megawattstunde am Spotmarkt bis zu 200 Euro

In der Tat ist der Phelix (base) von März bis August dieses Jahres um rund 75 Prozent von 47,16 auf 82,70 Euro/MWh gestiegen. Im September kostete die Megawattstunde an einzelnen Tagen sogar bis zu 200 Euro. Die wichtigste Ursache scheint der Anstieg der EUA-Preise zu sein. Wieviel Spekulation dabei im Spiel ist, wird wahrscheinlich auch die ESMA nicht herausfinden. Fakt ist aber, dass die Verbraucher nun auch über den wirksamer gewordenen Handel mit Emissionszertifikaten sowie durch die neu eingeführten Emissionszertifikate für fossile Brennstoffe (191202) sehr stark belastet werden. – Ein Grund mehr, die Stromverbraucher nun wenigstens von der EEG-Umlage zu befreien und diesen Sektor ganz dem Staat zu übertragen, soweit die Verpflichtungen gegenüber den Bestandsanlagen noch erfüllt werden müssen und die Förderung neuer Anlagen in Teilbereichen weiterhin sinnvoll bleibt.

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