September 2021 |
210903 |
ENERGIE-CHRONIK |
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Die Preise für EUA-Zertifikate sind stark gestiegen, seitdem am 1. Januar die vierte Periode des Handels mit Emissionsberechtigungen begann. Am Jahresende 2020 kostete ein EUA ("European Union Allowance"), das zur Emission einer Tonne CO2-Äquivalent berechtigt, knapp 31 Euro. Bis Mitte September waren es knapp 62 Euro. Fünfzehn Jahre nach seinem Beginn ist so der Handel mit Emissionsberechtigungen für Kraftwerke und andere Großfeuerungsanlagen endlich in einen Bereich vorgestoßen, wo er als Kostenfaktor nicht mehr zu vernachlässigen ist und eine klimaschützende Wirkung entfalten kann.
Das wäre sozusagen die gute Botschaft. Die schlechte lautet: Fünfzehn Jahre lang haben es die Staaten der Europäischen Union versäumt, aus dem Emissionshandel ein tatsächlich klimawirksames Instrument zu machen. Anstelle der notwendigen Knappheit gab es ständig einen großen Überschuß an Zertifikaten. Diese waren deshalb spottbillig und konnten keinen Treibhausgas-Emittenten hinter dem Ofen seiner Großfeuerungsanlage hervorlocken. Die anfänglichen Preisspitzen bis knapp 30 Euro in der ersten Handelsperiode beruhten auf Spekulationen und der falschen Annahme, dass tatsächlich der versprochene Mangel herrsche, den das Konzept voraussetzt. Als sich dann der Überschuss herumsprach, fiel der Preis ins Bodenlose und die Notierungen wurde eine Zeitlang ausgesetzt.
Die mit Verspätung gestartete zweite Handelsperiode erbrachte zunächst kümmerliche Preise um 15 Euro, beeindruckte aber durch eine überaus rege Handelstätigkeit. Allerdings stellte sich bald heraus, dass dieser schwunghafte Handel zu neunzig Prozent auf betrügerischen Umsatzsteuerkarussellen beruhte, mit denen Ganoven sich schätzungsweise fünf Milliarden Euro an Steuergeldern ergaunerten (091204). Als Kriminelle dann auch noch in das elektronische Registrierungssystem eindrangen, um Zertifikate im Wert von rund 28 Millionen Euro zu Geld zu machen, mußte die EU-Kommission Anfang 2011 vorübergehend alle europäischen Register sperren (110105).
Nach Unterbindung dieser kriminellen Praktiken sanken die Preise in den einstelligen Bereich. Dort verharrten sie fünf volle Jahre, bis den EU-Gremien endlich klar wurde, dass sie keineswegs ein weltweit vorbildliches Klimainstrument geschaffen hatten, sondern einer weltweiten Blamage entgegensteuerten. So kam es Ende 2017 zu der längst überfälligen Verknappung der Zertifikate (171105), die wenigstens ab der 2021 beginnenden vierten Handelsperiode für klimawirksame EUA-Preise sorgen sollte. Auch in den letzten drei Jahren der dritten Handelsperiode stieg dadurch der Durchschnittspreis, der zuvor bei 5,76 Euro gekrebst hatte, auf immerhin 21,62 Euro.
Ein besonderes Trauerspiel boten namhafte Vertreter der Wirtschaftswissenschaften, die diese Vorgänge durch ihre neoliberale Brille betrachteten. Zum Beispiel verteidigte der emeritierte Leiter des Energiewirtschaftlichen Instituts an der Universität Köln (EWI), Carl Christian von Weizsäcker, das Verhalten der Stromkonzerne, die den Marktwert von EUA-Zertifikaten auf die Strompreise aufschlugen, obwohl sie diese Emissionsgenehmigungen kostenlos erhalten hatten: Dies sei nun mal "die natürliche Antwort wettbewerblicher Märkte auf die vom Staat gesetzten Rahmenbedingungen" (050901). Auch andere Ökonomen sprachen beschönigend von "Opportunitätskosten", um die schlichte Tatsache zu verschleiern, dass die Konzerne ihre Marktmacht zur Erlangung von "Windfall-Profits" schamlos ausnutzten (060303). Vor soviel aufgebrezeltem Fachjargon kapitulierte selbst das Bundeskartellamt, indem es das erste und einzige Ermittlungsverfahren einstellte (070903). Die "Verpflichtungserklärung", die RWE dafür abgeben musste, erwies sich für den Konzern ebenfalls als gutes Geschäft (080216).
Noch bevor die erste Handelsperiode überhaupt begonnen hatte, verlangte der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium 2004 die Abschaffung der EEG-Förderung, weil "der Beitrag des EEG zur Verminderung der CO2-Emissionen auf auf Null absinkt, sobald der Markt für CO2-Emissionslizenzen funktioniert" (040304). Fünf Jahre später hätten solche neoliberalen Schlaumeier eigentlich wissen müssen, dass der EUA-Markt unter den gegebenen Umständen gar nicht im erwünschten Sinne funktionieren konnte. Dennoch veröffentlichten acht Wirtschaftsprofessoren im März 2009 ein Pamphlet mit dem Titel "Die Energie-Lüge". Darin forderten sie ebenfalls die Abschaffung der Erneuerbaren-Förderung, weil das EEG mit dem Emissionshandel kollidiere. Es verhalte sich nämlich so, daß die deutschen Stromerzeuger die mit Hilfe des EEG erzielten Emissionsminderungen in Form von dadurch freiwerdenden CO2-Zertifikaten an andere Branchen oder ins EU-Ausland verkaufen würden. Das EEG bewirke deshalb lediglich eine Verlagerung von CO2-Emissionen aus dem Bereich der Stromwirtschaft in andere Branchen oder EU-Länder. Per Saldo werde so "tatsächlich nicht eine einzige Tonne Kohlendioxid eingespart" (090308).
Tatsächlich verhielt es sich gerade umgekehrt: Die sinkenden Treibhausgas-Emissionen der deutschen Energiewirtschaft waren im wesentlichen auf den steigenden Anteil der Erneuerbaren an der Stromerzeugung und damit auf die EEG-Förderung zurückzuführen, während der Emissionshandel kläglich versagte. Das erwähnte Pamphlet stieß deshalb sofort auf den Widerspruch von 14 anderen Professoren, die es mit der Wissenschaftlichkeit genauer nahmen. Vor allem stellten sie fest, dass sowohl das EEG als auch der Emissionshandel grundsätzlich einen Beitrag zur CO2-Minderung leisten könnten, wobei sie keineswegs Gegenspieler sein müssen, sondern sich wechselseitig ergänzen können. Falls tatsächlich unerwünschte Wechselwirkungen auftreten sollten, brauche man nur an den verfügbaren Stellschrauben zu drehen, indem beispielsweise das "Cap" für den Emissionshandel entsprechend angepasst wird.
Das EEG war jedenfalls nicht schuld daran, wenn die EUA-Zertifikate über
15 Jahre hinweg zu billig waren und der Emissionshandel deshalb keinen
klimaschützenden Effekt hatte. Die Erneuerbaren-Förderung hat vielmehr
verhindert, dass die Klimapolitik der EU zu einem völligen Desaster wurde.
Dass der Emissionshandel in der Praxis nicht so funktionierte, wie es
theoretisch sein sollte, lag allein am fehlenden politischen Willen bzw.
an der mangelnden Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den betroffenen
Wirtschaftskreisen. Das zeigte auch der Sonderfall Großbritanniens, wo
tatsächlich eine effiziente Verknappung der Zertifikate stattfand. Auf der
britischen Insel wurde deshalb die Kohleverstromung viel früher unrentabel
als in anderen europäischen Ländern. Stattdessen floss viel Geld in die
Errichtung von Offshore-Windkraftanlagen in der Nordsee.
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Inzwischen ist geplant, den Emissionshandel auf Verkehr, Gebäude, Landwirtschaft und andere Bereiche auszuweiten, auf die der größte Teil der CO2-Emissionen entfällt und die bisher nicht von ihm erfasst werden (181004, 191102). Generell wird er als Königsweg zum Klimaschutz angepriesen, obwohl er das bis heute nicht ist und in der Vergangenheit sogar auf schlimme Abwege führte. Simpler und effizienter wäre von Anfang an eine europaweite CO2-Steuer gewesen, wie sie 1992 von der EG-Kommission (920502) sowie der Enquête-Kommission des Bundestags zum Schutz der Erdatmosphäre (920407) vorgeschlagen wurde. Dieser Vorschlag scheitert letztendlich daran, dass die USA nicht mitziehen wollten (930603). Ende 1997 stimmten die Amerikaner auf der Weltklimakonferenz in Kyoto den dort beschlossenen CO2-Minderungsverpflichtungen nur unter der Bedingung zu, daß sie ihre Reduktionsverpflichtungen großteils durch den Kauf von Emissionsberechtigungen anderer Staaten erfüllen dürften (971215). So wurden die Weichen für die Einführung des Handels mit Emissionszertifikaten aufgrund einer Erpressung durch die USA gestellt, obwohl diese anschließend die Umsetzung des Kyoto-Protokolls sabotierten (991125, 001104) und sich nach dem Regierungsantritt von George W. Bush sogar offen weigerten, die eingegangenen Verpflichtungen zu erfüllen (010303).
Skepsis ist übrigens auch gegenüber dem momentanen Höhenflug der EUA-Preise angebracht. Naturgemäß reflektieren diese nicht unbedingt die reale Belastung der betroffenen Wirtschaftszweige, sondern können auch stark spekulative Momente enthalten. Wer an der Strombörse EEX für den Kauf von EUA zugelassen werden will, braucht selber keinen Bedarf dafür zu haben. Man weiß auch nicht, wer sich da mit Emissionsberechtigungen eindeckt und welche Zwecke er damit verfolgt. Ein guter Teil der EUA-Käufe könnte deshalb dem Zweck dienen, die Preise kurzfristig hochzutreiben, um die Zertifikate mit einem erheblichen Spekulationsgewinn weiterzuverkaufen, bevor das künstlich hochgetriebene Preisniveau zusammenbricht.
Der Verband der Industriellen Energie- und Kraftwirtschaft (VIK) begrüßte deshalb am 10. September, dass die EU-Finanzaufsichtbehörde ESMA eine Überprüfung der gegenwärtigen "Preisrallye" am EUA-Auktionsmarkt eingeleitet hat. Anlass war eine Beschwerde des Stromvertriebs Stromio, dem der starke Anstieg der Strompreise am Spotmarkt seine Kalkulation durcheinander brachte, was er auf EUA-Käufe durch kapitalkräftige Spekulanten zurückführt. Der Zweck des europäischen Kohlenstoffmarktes "sollte darin bestehen, den Klimawandel zu den geringstmöglichen Kosten zu bekämpfen, anstatt ein Casino für Hedge-Fonds zu sein, in dem ein Vermögenstransfer von den Endverbrauchern zu den Hedge-Fonds stattfindet", heißt es in dem Beschwerdeschreiben des Stromvertriebs an die EU-Finanzaufsicht.
In der Tat ist der Phelix (base) von März bis
August dieses Jahres um rund 75 Prozent von 47,16 auf 82,70 Euro/MWh
gestiegen. Im September kostete die Megawattstunde an einzelnen Tagen
sogar bis zu 200 Euro. Die wichtigste Ursache scheint der Anstieg der
EUA-Preise zu sein. Wieviel Spekulation dabei im Spiel ist, wird
wahrscheinlich auch die ESMA nicht herausfinden. Fakt ist aber, dass die
Verbraucher nun auch über den wirksamer gewordenen Handel mit
Emissionszertifikaten sowie durch die neu eingeführten
Emissionszertifikate für fossile Brennstoffe (191202)
sehr stark belastet werden. – Ein Grund mehr, die Stromverbraucher nun
wenigstens von der EEG-Umlage zu befreien und diesen Sektor ganz dem Staat
zu übertragen, soweit die Verpflichtungen gegenüber den Bestandsanlagen
noch erfüllt werden müssen und die Förderung neuer Anlagen in
Teilbereichen weiterhin sinnvoll bleibt.