August 2022

220803

ENERGIE-CHRONIK


 

Die Gaspreise sind im August weiter gestiegen. Am 24. August überschritten sie erstmals die Grenze von 300 Euro pro Megawattstunde. Sie überboten damit den bisherigen Rekord vom 7. März (220302) noch um gut hundert Euro. Das treibt über einen höchst fragwürdig gewordenen Börsenmechanismus auch die Strompreise noch weiter nach oben (siehe 220801).
Quelle: Bundesnetzagentur

Mangelnde Markttransparenz begünstigte Fehler bei Gasumlage

Die neue Gasumlage von 2,419 Cent pro Kilowattstunde, mit der ab 1. Oktober die Mehrkosten der Importeure für die Ersatzbeschaffung ausgefallener russischer Gaslieferungen auf die Gesamtheit der Verbraucher umgelegt werden (220804), hat der Bundesregierung und vor allem Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) viel Kritik eingetragen. Obwohl diese vor allem parteipolitisch motiviert sowie ziemlich übertrieben und wenig konstruktiv ist, trifft sie einen wunden Punkt der neuen Regelung: Die gesetzgeberische Konstruktion der "saldierten Preisanpassung" nach § 26 des Energiesicherheitsgesetzes (EnSiG) sowie die darauf basierende Verordnung vom 8. August (HTML) haben sich mehr an Handelsregister-Eintragungen als am real existierenden Kapitalismus auf dem Gasmarkt orientiert. Deshalb wird die Erstattung der Mehrkosten abzüglich eines Abschlags von zehn Prozent zu einem kleinen Teil auch solchen Importeuren gewährt, denen man die verlustträchtige Ersatzbeschaffung ohne Beihilfe zumuten könnte. Es handelt sich nämlich um Töchter von Konzernen, die finanziell durchaus gut dastehen und über Zufallsgewinne teilweise sogar erheblich von der gegenwärtigen Energiekrise profitiert haben (220805).

Anforderungen an unterstützte Unternehmen werden nachträglich verschärft

Am Rande einer zweitägigen Klausurtagung des Bundeskabinetts in Schloß Meseberg machte Habeck am 30. August erste Angaben dazu, wie der Fehler behoben werden soll, ohne die neue Regelung grundsätzlich in Frage zu stellen. Demnach werden die Unternehmen nachweisen müsssen, dass sie für die deutsche Energieversorgung systemrelevant sind. Zudem muss ein großer, schwer ersetzbarer Anteil an russischem Gas zum Geschäftsumfang gehören. Falls sie die Umlage dann in Anspruch nehmen, dürfen sie keine Boni mehr zahlen oder Dividenden ausschütten.

Sogar der Ministeralbürokratie fehlte es am nötigen Durchblick

Dass die Sichtweise zu einseitig juristisch war, räumte Habeck schon vorher ein. Dieses Problem habe ihm "die letzten 48 Stunden den Tag ganz schön versauert", bekannte er am 25. August als Gastredner vor Unternehmern beim 26. Westfälischen Wirtschaftstag in Münster. "Eine Legion von Juristen" habe ihm versichert, dass die Gleichheit vor dem Gesetz die Einbeziehung aller Importeure verlange. Man habe im Ministerium auch zu wenig gewußt, "wie dieser Gasmarkt verflochten ist" und welche Firmen "irgendwie welche Anteile an Töchtern und so weiter haben". Gleichwohl werde er sich "jetzt noch mal genau angucken, ob es nicht doch einen Weg gibt, diesen berechtigten Anspruch abzuwehren" und versuchen, den Kreis der Berechtigten zu verkleinern.

Insgesamt macht Habeck eine bessere Figur als sein Vorgänger

"Seine Ehrlichkeit ist entwaffnend, offenbart aber auch ein gerüttelt Maß an Naivität, die sich Deutschland in diesen gefährlichen Zeiten nicht erlauben kann", schrieb daraufhin die "Frankfurter Allgemeine" (26.8.), die ihre vor einem Jahr begonnene Kampagne für den Ausstieg aus dem Atomausstieg emsig weiter betreibt und inzwischen zusätzlich noch die Zulassung von Fracking zur Erhöhung der inländischen Erdgasförderung propagiert (siehe Hintergrund, Juni 2022). Zu dieser Stoßrichtung passt, wie das Blatt den grünen Wirtschaftsminister, der beides ablehnt, als Naivling darzustellen versucht. Tatsache ist allerdings, dass das Ministerium unter Habeck bisher schnell und akkurat auf die von Russland provozierte Energiekrise reagiert hat. Habeck strahlt sicher auch mehr Kompetenz aus als sein Vorgänger Peter Altmaier (CDU), der beispielsweise die Vernachlässigung des Erneuerbaren-Ausbaues und des Klimaschutzes schönrechnete, indem er einen gleichbleibenden Stromverbrauch bis 2030 auf dem Stand des Jahres 2019 unterstellte (210702). Die Informationspolitik des Ministeriums lässt zwar noch manche Wünsche offen, ist aber insgesamt ebenfalls deutlich besser geworden.

Der Mangel an Transparenz ist eine hausgemachte Altlast

Es sind deshalb eher Altlasten als neu hinzugekommene Ignoranz, wenn man selbst im Wirtschaftsministerium die Konzernverflechtungen der Gaswirtschaft mit ihren zahlreichen Töchtern, Enkeln oder Urenkeln nicht so recht überblickt haben sollte. Diese fehlende Transparenz war hausgemacht und auch bei Behörden festzustellen, die dem Bundeswirtschaftsministerium unterstehen. Man denke nur an die jahrelangen Auseinandersetzungen um die Schwärzungen in Dokumenten der Bundesnetzagentur, die mit dem angeblich notwendigen Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen begründet wurden (160208, 160310, 171206, 181206). Oder an die Geheimniskrämerei des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA), das die "Entwicklung der Erdgaseinfuhr" schon seit sechs Jahren nicht mehr nach einzelnen Ländern aufschlüsseln will. Es fing damit an, dass die Einfuhren aus Dänemark und Großbritannien "aus Datenschutzgründen" in einer separaten Rubrik mit der paradoxen Bezeichnung "nicht ermittelte Länder" zusammengefasst wurden. Ab 2016 entfielen dann auch die detaillierten Angaben für die Einfuhren aus Russland, Niederlande und Norwegen. Dies geschah angeblich "aus Gründen der statistischen Geheimhaltung". Seltsamerweise konnte man diese geheimgehaltenen Zahlen dann aber doch aus anderen Quellen erfahren. Jedenfalls blieb kein Geheimnis, dass der Anteil der Importe aus Russland, der gemäß der BAFA-Statistik zuletzt 34,59 Prozent für das Jahr 2015 ausmachte, später bis auf 65 Prozent gestiegen war...

Ähnlich seltsam mutet an, dass nirgendwo eine Liste der Gasimporteure zu existieren schien. Als dann die Firmen feststanden, die ihre Einbeziehung in die Gasumlage beantragten, wurde auch diese Liste von Trading Hub Europe (THE), Bundesnetzagentur und Wirtschaftsministerium zunächst als Verschlußsache behandelt. Als dann wenigstens die Namen der zwölf Unternehmen genannt wurden, fehlte es an allen weiteren Informationen. Vor allem hätte die Öffentlichkeit gern gewußt und auch Anspruch darauf gehabt, in welchem Ausmaß die einzelnen Unternehmen von der Umlage profitieren. Zur Einschätzung ihrer tatsächlichen Belastung hätte man aber auch wissen müssen, wieweit die Nutznießer in Konzerne eingebunden sind und wie deren Ertragslage aussieht (220805).

 

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