Mai 2024

240504

ENERGIE-CHRONIK


Berlin holt sich nach 27 Jahren die Fernwärme zurück

Mit einem Festakt im Heizkraftwerk Mitte feierte Berlin am 3. Mai die Rekommunalisierung seiner Fernwärmeversorgung. Aus der bisherigen Vattenfall Europe Wärme AG wurde zugleich die BEW Berliner Energie und Wärme AG, die nun zu hundert Prozent dem Berliner Senat gehört. Damit holt sich die deutsche Hauptstadt nach dem Stromnetz (210403) auch das Fernwärmenetz samt den dazugehörigen Heizkraftwerken zurück. Die ebenfalls seit Jahren angestrebte Rekommunalisierung der Gasversorgung (210303) bleibt dagegen vorerst noch ungewiss.

Wie beim Stromnetz, für das Vattenfall 2,14 Milliarden Euro erhielt, kam die Überlassung der Fernwärme durch einen Kaufvertrag zustande. Nach Angaben des Finanzsenators Stefan Evers (CDU) beträgt der endgültige Kaufpreis 1,4 Milliarden Euro. Der Rückkauf werde aus Darlehen der Investitionsbank Berlin und aus Haushaltmitteln des Landes finanziert. Die für Wirtschaft, Energie und Betriebe zuständige Senatorin und Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) jubelte: "Mit dem Rückkauf der Fernwärme in Landeshand ist uns die größte energiepolitische Weichenstellung dieses Jahrzehnts gelungen: Wir haben die Wärme nach Hause geholt. Diese politische Entscheidung und die darauffolgenden erfolgreichen Verhandlungen führen dazu, dass die wichtigsten Güter zur Versorgung der Grundbedürfnisse unserer 3,9 Millionen-Metropole – Strom, Wasser und Wärme – nun alle in öffentlicher Hand sind."

Nach der Wende hatten CDU und SPD die gesamte Energieversorgung privatisiert

Im früheren Westberlin gehörte die gesamte Energieversorgung den beiden landeseigenen Gesellschaften Bewag (Strom, Fernwärme) und Gasag (Gas). Nach der 1991 erfolgten Eingliederung der DDR in die Bundesrepublik übernahmen diese beiden Unternehmen 1993 auch die entsprechenden Versorger im Ostteil der Stadt. Die von 1991 bis 2001 regierenden schwarz-roten Senate betrieben dann aber eine Politik des Ausverkaufs: Schon 1996 bekundeten sie die Absicht zur kompletten Privatisierung der Bewag (961010), die dann im folgenden Jahr durch Verkauf der bisher mehrheitlichen Landesbeteiligung zustande kam (970807). Anfang 1998 folgte die völlige Privatisierung der Gasag, zu deren neuen Aktionären nunmehr auch die privatisierte Bewag gehörte (980209). Union und SPD begründeten ihren neoliberal inspirierten Privatisierungsrausch, dem auch ein großer Teil des kommunalen Wohnungsbestands zum Opfer fiel, mit den chronischen Finanznöten der Stadt, die der Politik angeblich keine andere Wahl ließen.

Volksentscheid gegen die schwarz-rote Privatisierungspolitik scheiterte nur knapp

Gegen diesen Ausverkauf kommunaler Wirtschaftsbereiche und Zuständigkeiten wandte sich eine außerparlamentarische Gegenbewegung. Sie kam vor allem im Volksbegehren für eine Rekommunalisierung der Stromversorgung zum Ausdruck, das im Juni 2013 die Bürgerinitiative "Berliner Energietisch" erzwang (130612). Um den Volksentscheid scheitern zu lassen, beschlossen SPD und CDU daraufhin die Gründung eines schwachbrüstigen Mini-Stadtwerks (131008). Als der Volksentscheid dann am 3. November 2013 tatsächlich knapp scheiterte (131104), verfolgten die Koalitionäre diese Strategie weiter, indem sie zumindest formal die Rekommunalisierung der Gasversorgung anstrebten – allerdings so ungeschickt, dass die Gasag-Eigentümer erfolgreich gegen die Neuvergabe der ausgelaufenen Konzession an die landeseigene "Berlin Energie" klagen konnten (141209).

Ab 2016 betrieb der neue Senat ernsthaft die Rekommunalisierung

Ernsthafter ging es zur Sache, als die von 2016 bis 2021 regierende Senatskoalition aus SPD, Linken und Grünen Ende 2016 beschloss, die Strom- und Gasnetze wieder vollständig zu rekommunalisieren und auch die Übernahme der Fernwärme zumindest zu prüfen (161211). Hinsichtlich der Fernwärme gab es ein halbes Jahr später einen erheblichen Dämpfer, weil das Verwaltungsgericht den schlampig verfassten Konzessionsvertrag beanstandete, mit dem 1994 der schwarz-rote Senat der damals noch landeseigenen Bewag die Konzession übertragen hatte: Wegen der fehlenden "Endschaftsbestimmung" lasse sich aus dem Text kein Anspruch des Senats auf die Herausgabe des Fernwärmenetzes durch die Vattenfall Europe Wärme AG ableiten, die inzwischen die Nachfolge der Bewag angetreten hatte (170710).

Vattenfall war sowohl beim Strom als auch bei der Fernwärme verhandlungsbereit

So kam es vorerst nur zur Neuvergabe der Stromkonzession an die landeseigene "Berlin Energie" (190313), worauf Vattenfall diese zwar per Eilantrag verhindern konnte (191108), sich dann aber doch grundsätzlich verhandlungsbereit zeigte, um einen jahrelangen Rechtsstreit zu vermeiden (201010). Ein halbes Jahr später wurde der Verkaufsvertrag über das Stromnetz unterschrieben (210403).

In ähnlicher Weise lenkte Vattenfall ein und bot eine Verhandlungslösung an, nachdem das Oberverwaltungsgericht im Juli 2021 die Berufungsbeschwerde des Senats gegen das erwähnte Fernwärme-Urteil der Vorinstanz ablehnte (210712). Am 19. Dezember 2023 wurden die Verträge über den kompletten Verkauf der Fernwärme unterschrieben. Zugleich räumte Vattenfall dem Land Berlin eine Option auf seine knappe Drittel-Beteiligung an der Gasag ein. Als vorläufiger Kaufpreis wurden zunächst noch 1,6 Milliarden Euro zugrundegelegt. Im März stimmte das Berliner Abgeordnetenhaus zu, und Anfang April genehmigte auch das Bundeskartellamt den vereinbarten Handel.

Damit steht jetzt nur noch die Rekommunalisierung der Gasag aus. Die 31,575 Prozent von Vattenfall hat der Senat als Option in der Tasche. Die Mehrheit liegt aber noch immer bei E.ON (36,85 Prozent) und Engie (31,575 Prozent). Damit eine echte Rekommunalisierung gelingt, müsste zumindest einer dieser beiden Großaktionäre seine Beteiligung ebenfalls verkaufen.

Das größte deutsche Fernwärmenetz wird von insgesamt 23 Kraftwerken mit einer thermischen Leistung von 5.404 MW gespeist

Mit über 2.000 Kilometern Länge ist das Berliner Fernwärmenetz das größte Westeuropas und versorgt umgerechnet rund 1,4 Millionen Wohneinheiten. Für seine Beschickung mit Wärme sorgen zehn Heizkraftwerke, neun Blockheizkraftwerke und vier Heizwerke mit einer thermischen Leistung von insgesamt 5.404 MW. Hinzu verfügen die Heizkraftwerke über eine elektrische Leistung von 2.074 MW und die Blockheizkraftwerke von knapp 20 MW. In der Regel handelt es sich um Gaskraftwerke.

Das wichtigste Heizkraftwerk Reuter-West (878 MW thermisch und 564 MW elektrisch) wird allerdings noch immer mit Steinkohle betrieben, ebenso das Heizkraftwerk Moabit. In der genannten thermischen Leistung sind drei Elektroden-Kessel mit jeweils 40 MW enthalten, die Vattenfall im September 2019 auf dem Gelände von Reuter-West in Betrieb nahm und als "Europas größte Power-to-Heat-Anlage" an das Fernwärmenetz anschloss (170612).

 

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