November 2007 |
071115 |
ENERGIE-CHRONIK |
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) wies am 29. November definitiv eine Klage zurück, die drei deutsche Stadtwerke im März 2002 gegen die EU-Kommission wegen der Steuervorteile für Kernkraftwerksbetreiber erhoben hatten. Während sich die erste Instanz immerhin noch auf die Argumentation der Kommunen eingelassen hatte, befand die zweite Kammer des EuGH nun, daß die Kommunen gar nicht klagebefugt gewesen seien, weil die Entscheidung der EU-Kommission sich an die Betreiber gerichtet habe. Die klagenden Kommunalversorger seien daher gar nicht unmittelbar betroffen. Die Kosten des Verfahrens haben die abgewiesenen Kläger zu tragen.
Die Stadtwerke Schwäbisch Hall, Tübingen und Uelzen hatten die Kommission am 19. November 1999 aufgefordert, ein Verfahren zur Prüfung staatlicher Beihilfen gemäß den Art. 87 EG und 88 EG einzuleiten, weil die Kernkraftwerksbetreiber ihre Rückstellungen für die Entsorgung und Stillegung von Kernkraftwerken nicht zu versteuern brauchen und dennoch über diese Milliarden-Summen für ihre geschäftlichen Zwecke verfügen können. Diesen Vorteil hätten sie als Betreiber konventioneller Kraftwerke nicht und würden deshalb benachteiligt.
Die Kommission nahm sich erst der Beschwerde an, nachdem die Kommunen eine Klage wegen Untätigkeit angekündigt hatten (011104), und wies sie im Dezember 2001 zurück (011218). Drei Monate später erhoben die Kommunen Nichtigkeitsklage gegen diese Entscheidung beim EuGH, der nun seinerseits fast vier Jahre benötigte, ehe er im Januar 2006 die Klage abwies. Gegen diese Zurückweisung in der ersten Instanz legten die drei Kommunen Anfang April 2006 Rechtsmittel ein. Mit der jetzt ergangenen Entscheidung wurden diese Rechtsmittel verworfen.
Die Kernkraftwerksbetreiber hatten als Bestandteil der Stromkosten und damit zu
Lasten der Stromverbraucher steuerfreie Rückstellungen gebildet, die sich nach
Angaben des VDEW bis Ende 1996 auf 54 Milliarden Mark beliefen. Bei Beginn der Liberalisierung
1998 waren es bereits 72 Milliarden Mark. Über diese enormen Summen konnten sie
beliebig verfügen, zumal Jahre und Jahrzehnte vergehen würden, bis der Betrieb
von Endlagern oder der Abriß von Kernkraftwerken tatsächlich anstand. Beispielsweise
konnten sie das Geld zinsbringend anlegen oder damit andere Unternehmen kaufen. Es
bestehe "keine Verpflichtung, diese Finanzmittel in bestimmter Art und Weise
anzulegen", beschied die Bundesregierung im Mai 1997 eine Kleine Anfrage des
Bundestagsabgeordneten Hermann Scheer. "Das Unternehmen wird aus Eigeninteresse
eine Mittelanlage wählen, welche gewährleistet, daß die der Rückstellung
zugrundeliegende Verpflichtung bei Fälligkeit erfüllt werden kann."
Erst 1999 kam auf Betreiben des damaligen Finanzministers Oskar Lafontaine eine gesetzliche
Regelung zustande, die den Umfang der steuerrechtlich akzeptierten Rückstellungen
verringerte (990301). Dennoch blieb der Wettbewerbsvorteil
der Kernkraftwerksbetreiber gegenüber anderen Stromunternehmen grundsätzlich
bestehen. Vor allem kommunale Versorger sahen darin eine massive Benachteiligung,
die auch nach europäischem Recht eine unzulässige Beihilfe darstelle. Deshalb
erhoben sie ihre Beschwerde bei der EU-Kommission, die nun auch vom Europäischen
Gerichtshof definitiv zurückgewiesen wurde.
Im Jahr 1997 – also kurz vor der Liberalisierung des Energiemarktes - verfügten
die Kernkraftwerksbetreiber im einzelnen über folgende steuerfreie Rückstellungen:
RWE (seit 2000 mit VEW) 16,8 Milliarden DM Bayernwerk (seit 2000 E.ON) 11,5 Milliarden DM PreussenElektra (seit 2000 E.ON) 10,9 Milliarden DM EnBW (seit 2003 mit NWS) 8,1 Milliarden DM HEW (seit 2000 zu Vattenfall) 4,7 Milliarden DM NWS (seit 2003 EnBW) 4,1 Milliarden DM VEW (seit 2000 RWE) 3,7 Milliarden DM
Diese Milliarden, die über die Strompreise von den Stromverbrauchern aufgebracht worden waren, verwendeten die Kernkraftwerksbetreiber zunächst für den Aufkauf und die Neugründung von Unternehmen außerhalb des angestammten Energiegeschäfts. An erster Stelle standen dabei die Bereiche Entsorgung und Telekommunikation. Später konnten sich auf die Milliarden-Rücklagen stützen, um den Aufkauf anderer Energieversorger, die Expansion ins Gasgeschäft und die Festigung ihres Oligopols zu finanzieren.