August 2015 |
150807 |
ENERGIE-CHRONIK |
Im Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) gibt es heftigen Streit zwischen Mitgliedern, die sich in erster Linie dem Naturschutz oder dem Ausbau der erneuerbaren Energien mittels Windkraftanlagen verpflichtet fühlen. Die seit mehr als zwanzig Jahren andauernde Auseinandersetzung (950117) kulminierte inzwischen mit dem Austritt von zwei prominenten BUND-Mitgliedern, die ihre Mitgliedschaft mit diametral entgegengesetzten Begründungen kündigten: Das Gründungsmitglied Enoch zu Guttenberg wirft dem Verband vor, von der Windkraftindustrie unterwandert zu sein und deshalb den Natur- und Landschaftsschutz zu vernachlässigen. Der frühere Bundestagsabgeordnete und energiepolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Hans-Josef Fell, begründete dagegen seinen Austritt mit der "zunehmend kontraproduktiven energiepolitischen Arbeit" des Verbandes, der mit seinem Widerstand gegen den Bau von Wind-, Solar-, Biogas- und Kleinwasserkraftanlagen sowie notwendigen Leitungen wie "SüdLink" den weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien und damit den Klimaschutz gefährde.
Am 5. August machte die ARD-Sendung "Plusminus" den Streit publik, indem sie ausführlich den Dirigenten Guttenberg zu Worte kommen ließ, der vor vierzig Jahren den BUND mitbegründet hat und ihm nun vorwarf, den Arten- und Landschaftsschutz zu verraten: "Wir industrialisieren jetzt unseren letzten Naturraum. Dagegen haben wir alle gekämpft, haben unsere Köpfe dafür hingehalten. Und das geht jetzt mit freundlichen Grüßen vom BUND vor die Hunde." Der Verband sei von Lobbyisten der Windindustrie unterwandert: "Ich weiß allein 20 Personen vom BUND, führende Persönlichkeiten in den jeweiligen Bundesländern, die gleichzeitig in der Windlobby angestellt sind und für die arbeiten."
Aus Sicht des BUND war diese Sendung "in hohem Maße einseitig und mit mehreren Falschaussagen verbunden". Eine Umfrage unter den 190 Vorstandsmitgliedern und Geschäftsführern des Verbandes auf Bundes- und Landesebene habe ergeben, daß nur eine Person ein berufliches und eine weitere Person ein ehrenamtliches Engagement in der Windindustrie verfolge. Ferner sei in der Sendung nicht deutlich geworden, daß der BUND mit seiner Klage gegen den küstennahen Offshore-Windpark Nordergründe, die mit einem Vergleich endete und zurückgezogen wurde, erhebliche Verbesserung für den Naturschutz erreicht habe: Anstelle von 76 Windkraftanlagen seien jetzt nur noch 18 geplant. Ferner würden die Anlagen bei massenhaft durchziehenden Vogelschwärmen an bis zu zehn Tagen im Jahr abgestellt. Ähnlich einseitig dargestellt worden sei auch die Auseinandersetzung um einen Windpark bei Fürfeld in Rheinland-Pfalz.
Offenbar alarmiert durch die angekündigte "Plusminus"-Sendung, hat der BUND am 5. August auf seinen Internet-Seiten die verbandsoffiziellen "Positionen zum Thema Windenergie und Naturschutz" in der Form von Fragen und Antworten (FAQ) dargelegt. "Windkraftanlagen vertragen sich dann mit dem Schutz der Natur, wenn ihr Standort sorgfältig ausgewählt worden ist und in der Einzelfallprüfung deutlich wird, daß keine erheblichen Schäden zu befürchten sind", heißt es da beispielsweise. Oder: "Eine Zusammenarbeit oder Kooperation des BUND mit Windkraftunternehmen gibt es nicht. Wenn wir die gleichen Ziele verfolgen, arbeitet der BUND aber selbstverständlich mit dem Bundesverband Windenergie (BWE) oder dem Dachverband Erneuerbare Energien (BEE) inhaltlich zusammen."
Sowohl Enoch zu Guttenberg als auch Hans-Josef Fell gehörten dem bayerischen Landesverband des BUND an, der bereits 1913 als "Bund Naturschutz" gegründet wurde und auch nach dem 1975 erfolgten Beitritt zu der bundesweiten Neugründung diesen Namen beibehielt. Guttenberg hat seinen Austritt bereits am 11. Mai 2012 in einem Schreiben an den BUND-Vorsitzenden Hubert Weiger erklärt. Fell kündigte seine Mitgliedschaft am 20. Juli dieses Jahres.
Der Windkraft-Streit im BUND(siehe oben) Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) hat mit Enoch zu Guttenberg und Hans-Josef Fell zwei prominente Mitglieder verloren. Beide begründeten ihren Austritt mit der Haltung des Verbandes zur Windkraft, aber mit jeweils entgegengesetzten Argumenten (siehe oben). Unumschränkt beipflichten möchte man keinem der beiden. Der Streit ist vielmehr typisch für die oft sehr einseitige Sichtweise, mit der sowohl Windkraft-Verfechter als auch Naturschützer ihre Interessen durchzusetzen versuchen. Er wirft zugleich ein Schlaglicht auf die oft zweifelhaften Kompromisse, die dabei zustandekommen. Es wäre ein falscher Eindruck, daß dieser Streit erst jetzt entstanden sei. Er schwelte seit langer Zeit und wurde nur mühsam unter der Decke gehalten. Schon vor zwanzig Jahren zitierte die "tageszeitung" einen BUND-Vertreter aus Schleswig-Holstein mit den Worten: "Nur weil Windkraftanlagen CO2 vermeiden, kann dies doch nicht bedeuten, daß Windkraftanlagen überall dort gebaut werden, wo sie beantragt werden." Die Umweltfreundlichkeit der Windenergie diene inzwischen als "Totschlaginstrument", um den Vogelschutz und andere Anliegen der Naturschützer wirtschaftlichen Interessen opfern zu können. Nach Einschätzung des Blattes, das sich in der Szene gut auskannte, fühlten sich schon damals viele Umweltschützer angesichts des Windkraft-Booms "als Zauberlehrlinge, die die Geister nicht mehr loswerden, die sie einst so vehement gerufen haben" (950117). Schon 1997 hat sich eine Gemeinde ihren Widerstand gegen die Errichtung eines Windparks gegen eine beträchliche Summe abkaufen lassen. Zur selben Zeit zog der BUND Thüringen seine Klage gegen das Pumpspeicherkraftwerk Goldisthal zurück und kassierte dafür vom ostdeutschen Verbundnetzbetreiber VEAG sieben Millionen Mark (970424). Beim Magazin "Spiegel" gab es 2004 einen heftigen Krach, weil der Chefredakteur einen windkraftfreundlichen Artikel abservierte und durch eine windkraftkritische Titelgeschichte ersetzte (040413). Allerdings ist nicht anzunehmen, daß diese Entscheidung aus naturschützerischen Erwägungen zustande kam. Es ging eher um die günstigste Variante für eine verkaufsträchtige Titelgeschichte. Natur- und Artenschutz läßt sich nicht vom Menschen trennenDie "Positionen zum Thema Windenergie und Naturschutz", mit denen der BUND jetzt die verbandsinternen Wogen zu glätten versucht, muten wie ein Balanceakt auf dünnem Seil an. Sie sind sehr unbestimmt und bieten viel Spielraum für die Auslegung nach der einen oder der anderen Seite. Zum Beispiel ist beiläufig vom "nötigen Mindestabstand" die Rede, den Windkraftanlagen am Rande von Naturschutzgebieten einhalten müßten. Das eigentliche Problem – nämlich der Mindestabstand von Wohngebieten – wird jedoch nicht erwähnt, und schon gar nicht in Metern beziffert. Stattdessen wird vorgerechnet, daß zwei Prozent der Landesfläche ausreichen würden, um mit den darauf aufgestellten Windkraftanlagen 60 Prozent des deutschen Stromverbrauchs zu decken. Deutschland umfaßt eine Fläche von rund 357.000 Quadratkilometern. Nun mag es ja sein, daß sich auf zwei Prozent dieser Fläche – das wären 7.140 Quadratkilometer oder knapp dreimal die Fläche des Saarlandes – sämtliche dafür erforderlichen Windkraftanlagen unterbringen ließen. Aber natürlich handelt es sich um eine Milchmädchenrechnung, weil das Problem nicht der Platzverbrauch der Anlagen ist, sondern die weit darüber hinausgehenden Auswirkungen. Vermutlich wird das heikle Problem der Mindestabstände zu Wohnsiedlungen von den Verfassern des Papiers bewußt ausgeblendet. Formal können sie dies damit begründen, daß Natur- und Artenschutz nur Flora und Fauna betrifft, nicht aber den Menschen. In der Praxis ist es allerdings ein Unding, die gesamte Schöpfung von jenem Rest trennen zu wollen, der sich selber für deren Krone hält und den Naturschutz überhaupt erst erfunden hat. Beim Landschaftschutz wird dieser innige Zusammenhang bereits sehr deutlich, weil er nur als menschliches Bedürfnis vorstellbar ist. Die Auseinandersetzung, die derzeit den BUND spaltet, rührt deshalb auch weniger von den toten Vögeln, die immer wieder unter den Rotoren zu finden sind. Ihre eigentliche Virulenz bezieht sie aus einer weit verbreiteten Ablehnung der Windkraftanlagen. Und die ist darauf zurückzuführen, daß die immer größer gewordenen Anlagen als gesundheitliches Risiko oder zumindest als Belästigung und Zumutung für den Menschen empfunden werden. Die Einbeziehung ertragsschwacher Standorte in die
Windkraft-Förderung
|