Januar 2023 |
230103 |
ENERGIE-CHRONIK |
So hieß es noch im Januar auf der Internet-Seite der BASF-Tochter, die nach ihren Angaben weltweit "rund 2.500 Mitarbeitende aus nahezu 60 Nationen" beschäftigt. An der dazugehörigen Weltkarte wird nun eine kräftige Korrektur fällig, durch die der größte Teil der blau eingefärbten Landflächen verschwindet... |
Der BASF-Konzern hat inzwischen jede Hoffnung aufgegeben, seine umfangreichen Investitionen in die russische Gaswirtschaft noch retten zu können. Wie er am 17. Januar mitteilte, wird er deshalb die Beteiligungen seiner Tochter Wintershall Dea AG mit 7,3 Milliarden Euro abschreiben und für das vergangene Jahr anstelle eines ursprünglich erwarteten Gewinn von etwa 5 Milliarden Euro einen Verlust von 1,4 Milliarden Euro ausweisen. Die Wintershall Dea veröffentlichte ihrerseits am selben Tag eine entsprechende Pressemitteilung sowie eine Erklärung ihres Vorstands. "Wir müssen der Realität ins Auge blicken", hieß es es in dieser Erklärung. "Russland ist unberechenbar geworden in jeder Hinsicht. Russlands Krieg und seine Folgen entziehen den Wirtschaftsbeziehungen die Basis: Russland ist kein verlässlicher Wirtschaftspartner mehr."
Die BASF hatte es nach dem russischen Überfall auf die Ukraine zunächst bei der Ankündigung belassen, in Russland und Belarus keine neuen Geschäfte mehr abzuschließen. Am 27. April folgte die Ankündigung, bis Anfang Juli auch die bestehende Geschäfte einzustellen. Diese würden ohnehin nur rund ein Prozent des Konzernumsatzes ausmachen, hieß es (220407). Völlig unberücksichtigt blieb dabei allerdings das in Deutschland angesiedelte Gas- und Ölförderunternehmen Wintershall, das den eigentlichen Kern des Russland-Geschäfts der BASF bildete. In einem Tauschgeschäft mit der Gazprom hatte diese BASF-Tochter 2015 umfangreiche Beteiligungen an der russischen Gasförderung erworben und dafür dem russischen Staatskonzern ihr gesamtes Erdgashandels- und Speichergeschäft überlassen (150904). Auch den Bau der beiden Ostsee-Gaspipelines Nord Stream 1 und Nord Stream 2 hatte sie mitfinanziert.
Auf die so erworbenen Beteiligungen an russischen Gasfeldern und die daraus resultierenden Gewinne wollte die BASF nicht verzichten. Noch am 18. November vorigen Jahres anwortete der Wintershall-Vorstandsvorsitzende Mario Mehren in einem Interview mit dem "Handelsblatt" auf die Frage, weshalb er das Russlandgeschäft nicht einfach beende:
"Die einzige Möglichkeit, uns aus Russland zurückzuziehen, wäre es, dem russischen Staat unsere Aktivitäten zu schenken. Wir haben über Jahre hinweg gemeinsam mit unseren Aktionären Vermögenswerte in Russland aufgebaut. Das sind Milliardenwerte. Wir haben zwei Milliarden Euro an liquiden Mitteln dort liegen. In unseren Büchern stehen unsere Assets mit rund 2,5 Milliarden Euro. Wir haben eine treuhänderische Pflicht für unsere Aktionäre. Wir können unsere russischen Aktivitäten nicht einfach wegwerfen."
Indessen beklagte sich Mehren schon in diesem Interview darüber, dass Russland die aus den Beteiligungen resultierenden Verpflichtungen nicht einhalte:
"Seit Februar haben wir keine Dividenden mehr aus dem Land herausbekommen. Seit August gibt es ein Dekret des Präsidenten, dass wir unsere Aktivitäten nur mit Genehmigung durch Putin selbst verkaufen dürfen. Und aufgrund eines weiteren Dekrets des Präsidenten aus September gibt es bei einem Joint Venture einen Eingriff in unsere Verträge. Der Wert des Joint Ventures wurde quasi für die Geltungsdauer des Dekrets auf null gesetzt."
Im Dezember und im Januar folgten noch weitere Dekrete, mit denen der Kreml-Diktator die Erlöse der Gemeinschaftsunternehmen nachträglich abschöpfte und den ausländischen Anteilseignern ihre Stimmrechte nahm. "Unsere Aktien sind wertlose Hüllen geworden", stellte Mehren nun fest. "Wir kriegen weder die wirtschaftlichen Leistungen noch können wir die Stimmrechte ausüben." Wintershall Dea beabsichtige deshalb, "sich vollständig aus Russland in geordneter Weise und unter Einhaltung aller anwendbaren Gesetze und Bestimmungen zurückzuziehen". Im vierten Quartal seien schon alle russischen Beteiligungen entkonsolidiert und weitere Abschreibungen vorgenommen worden. Einschließlich der Beteiligungen an der Nord Stream AG und der WIGA Transport Beteiligungs-GmbH & Co. KG beliefen sich diese Wertberichtigungen auf insgesamt etwa 5,3 Milliarden Euro. Parallel dazu werde Wintershall Dea "das Geschäft außerhalb Russlands profitabel ausbauen und diversifizieren".
Die 1894 gegründete Bohrgesellschaft Wintershall gehört seit 1969 der BASF. Der Chemiekonzern erweiterte damit seinen Geschäftsbereich auf die Förderung von Erdöl und Erdgas. Nach der Wiedervereinigung betätigte sich die Wintershall aber auch zunehmend im Gashandel. Sie wurde nun zur Speerspitze der BASF im Kampf mit der Ruhrgas, die bis dahin der Alleinimporteur von russischem Erdgas war (siehe Hintergrund August 2008). Dabei kam es zur Gründung mehrerer Gemeinschaftsunternehmen mit dem russischen Staatsmonopolisten Gazprom wie der WIEH (1990), der Wingas (1993) und der Urengoygazprom (2003). Auch beim Projekt der Gaspipeline Nord Stream durch die Ostsee war die BASF von Anfang an dabei (050902). Ebenso wollte sie sich später an dem Gazprom-Projekt "South Stream" beteiligen (110309). Den Höhepunkt der Kooperation bildete das Ende 2012 beschlossene Tauschgeschäft, mit dem die Wintershall der Gazprom ihr gesamtes Erdgashandels- und Speichergeschäft überließ (150904). Insgesamt machten so die BASF und ihre Tochter den Türöffner für die weitreichenden Expansionsziele des Kreml auf dem westeuropäischen Markt (060403). Die russische Annektierung der Krim sorgte nur kurz für eine Eintrübung dieser engen Partnerschaft, indem sie einen Aufschub des vereinbarten Tauschgeschäfts bewirkte (141202), das ein gutes Jahr später dann doch unterzeichnet wurde (150904). Außerdem verkaufte die BASF 2019 ein Drittel der Wintershall-Aktien an den Putin-Freund Michail Fridman und zwei andere Oligarchen, die mit Geld aus dubiosen Quellen den Öl- und Gasförderer DEA übernommen hatten (171204). Auf deren Verlangen wurde die BASF-Tochter in Wintershall Dea umbenannt. Kurz vor dem russischen Überfall auf die Ukraine kam es zwischen Fridman und der BASF zu einem Streit, weil der Oligarch den seit langem geplanten Börsengang für das gemeinsame Unternehmen ablehnte (hierzu und zur Geschichte der DEA siehe 220203).