Januar 2024 |
240105 |
ENERGIE-CHRONIK |
Die Unionsparteien fühlen sich nicht mehr an den Atomausstieg gebunden, den sie und ihr damaliger Koalitionspartner FDP nach der Katastrophe von Fukushima vereinbarten (110501) und am 30. Juni 2011 gemeinsam mit SPD und Grünen im Bundestag beschlossen (110601). Das machten CDU und CSU sehr deutlich, als sie 2022 die Bundesregierung nötigten – und zwar mit kräftiger Unterstützung durch die mitregierende FDP – , die Laufzeiten der drei letzten Kernkraftwerke um dreieinhalb Monate zu verlängern (221103). Es verwundert deshalb nicht, dass beide Parteien nun auf zwei Klausurtagungen ihrer Vorstände im Januar erneut ein Bekenntnis zur Neubelebung der Kernenergie in Deutschland ablegten. Bemerkenswert ist aber doch, dass dieses Bekenntnis etwas unterschiedlich ausfiel und bei der CDU weniger militant klingt als bei der CSU.
In dem 26 Seiten umfassenden Papier, dass der Parteivorstand der CSU am Dreikönigstag auf einer Klausurtagung in Seeon beschloss, gehört zu den "10 Ampel-Ideologieprojekten, die wir wieder abschaffen werden" als Punkt 4 "die Abschaltung der Kernkraftwerke" – gerade so, als ob sich die bereits im Rückbau befindlichen Anlagen ohne weiteres wieder in Betrieb nehmen lassen würden. Weiter hinten im Text folgen dazu längere Ausführungen unter den Stichworten "Energieangebot ideologiefrei ausweiten", "Deutsch-französische Atom-Allianz bilden" und "Neue Kernenergie ermöglichen.
Lässt man die üblichen Phrasen und Polemik beiseite, geht es in diesen drei Absätzen im wesentlichen darum, dass durch "Weiterbetrieb der vorhandenen Kernkraftwerke und Bau neuer Kernkraftwerke mit neuester Technik und hohem Wirkungsgrad" die erwähnte ideologiefreie Ausweitung des Energieangebots in Deutschland vorangetrieben werden soll. Der zweite Absatz verspricht "die Gründung einer deutsch-französischen Atom-Allianz, die die weitere gemeinsame Forschung, Nutzung und den Bau von sicheren, sauberen Kernkraftwerken der neuesten Generation strategisch vorbereitet und umsetzt". Drittens wollen die bayerischen Christsozialen "die Forschungsaktivitäten im Feld der Kernfusion weiter stärken und streben den Bau eines eigenen Forschungsreaktors in Deutschland an". Anscheinend sieht der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Söder inzwischen ein, dass er doch ein bißchen größenwahnsinnig war, als er im vergangenen Jahr den Einstieg seines Bundeslandes in das extrem kostspielige Langzeitprojekt Fusionsforschung ankündigte (230404).
Die acht Seiten umfassende "Heidelberger Erklärung", die vom Parteivorstand der CDU am 12./13.Januar bei einer zweitägigen Klausur in Heidelberg beschlossen wurde, um die künftigen Schwerpunkte der Parteipolitik zu benennen, ist dagegen um ein gutes Drittel kürzer. Und noch viel kürzer ist der Raum, den dabei die Kernenergie einnimmt. Es handelt sich nämlich um einen einzigen Satz: "Auf die Option Kernkraft können wir zurzeit nicht verzichten."
Eine Option ist bekanntlich eine Wahlmöglichkeit. Im Finanzwesen bedeutet sie einen Anspruch, den man hat (oder zu haben glaubt), aber nicht unbedingt auch geltend macht. Die CDU will also anscheinend signalisieren, dass sie die Forderung nach einer Neubelebung der Kernenergie weiterhin im Repertoire behält, aber nicht unbedingt auf der Verwirklichung besteht. Vor allem dann nicht, wenn die erhoffte populistische Zugkraft dieser Forderung dank einer besser informierten Öffentlichkeit nachlassen sollte...
Auf die Unterstützung durch die bisherigen KKW-Betreiber – RWE, E.ON, EnBW und Vattenfall – darf sie bei solchen Plänen nicht hoffen. Das haben diese auf Nachfrage des "Handelsblatts" (18.1.) jetzt nochmals klargemacht. Die Erzeugung von Atomstrom ist nämlich eine derart kostspieliges und unrentables Geschäft, dass jeder Investor davon die Finger lässt, wenn er dieses Geschäft tatsächlich auf eigene Kosten betreiben müsste. Das war schon immer so, auch in Deutschland. Die Errichtung der Kernkraftwerke wurde deshalb weitgehend mit Hilfe des Staates finanziert, der am Ende sogar die besonders hohen Kosten für die endgültige Beseitigung der radioaktiven Abfälle übernahm.
Die großen Energiekonzerne konnten mit den Gewinnmargen, die ihnen bei der Erzeugung von Atomstrom zugestanden wurden, sicher sehr zufrieden sein. Inzwischen sind sie aber doch froh, dass sie dieses heikle Geschäft endlich los sind. Schon vor zehn Jahren begann ihnen zu dämmern, dass sie viel zu lange auf Atom- und Kohlestrom gesetzt hatten (Hintergrund, Oktober 2013). Heute investieren sie viel lieber in die erneuerbaren Energien, die gemäß einer internen Branchen-Sprachregelung bis in die neunziger Jahre als "additive Energien" bezeichnet wurden. Dieser fachmännisch-technisch klingende Ausdruck sollte signalisieren, dass die Erneuerbaren niemals einen relevanten Beitrag zur Stromerzeugung leisten könnten.
Die CDU weiß ihrerseits, dass sie nie Investoren finden würde, die das finanzielle und sonstige Risiko von neuen Kernkraftwerken ohne starke Subventionierung und sonstige Rückendeckung durch den Staat tragen würden. Sie müsste deshalb einen Kernenergie-Konzern nach Art der Electricité de France (EDF) gründen, deren horrende Verluste regelmäßig vom staatlichen Eigentümer abgedeckt werden, ohne dass sie Insolvenz anmelden muss. Möglicherweise läuft die von der CSU propagierte "deutsch-französische Atom-Allianz" sogar gerade auf solche Strukturen hinaus. Außerdem gibt es im publizistischen Umfeld der Union einige besonders kluge Köpfe, die in der Verfilzung von ziviler und militärischer Nutzung der Kernenergie, wie sie in Frankreich seit jeher besteht, die große Chance wittern, endlich auch Deutschland zu einer eigenen atomaren Streitmacht oder wenigstens zu einer Beteiligung an der "Force de frappe"zu verhelfen (221014).
Übrigens scheitert die EDF inzwischen auch in Großbritannien mit dem EPR-Reaktor, den sie ursprünglich gemeinsam mit dem Siemens-Konzern entwickelte. Zunächst war dieser Reaktor vor allem für Deutschland gedacht, um hier mit einer angeblich besonderen "inhärenten Sicherheit" den Bau weiterer Anlagen durchzusetzen. Daraus wurde aber wegen der mächtig angeschwollenen Bewegung gegen die Kernenergie nichts. Die sogenannten Konvoi-Reaktoren blieben die letzten (es waren die, die vergangenes Jahr abgeschaltet wurden). Und auch die später tatsächlich in Angriff genommenen EPR-Reaktoren in Finnland, Frankreich, China und Großbritannien wurden zu einer einzigen Serie von Pannen, Verzögerungen und Kosten ohne Ende (Hintergrund, August 2020).
Für das Kernkraftwerk Hinkley Point C, mit dessen Bau 2017 begonnen wurde, konnte die EDF mit der britischen Regierung einen garantierten Stromerlös aushandeln, der doppelt so hoch war wie der damalige Großhandelspreis und der Geldentwertung automatisch angepasst wird (131009). Es sollte zunächst 18,9 Milliarden Euro kosten und bis 2025 ans Netz gehen. Wie die EDF jetzt wissen ließ, werden die Baukosten inzwischen bis auf 40 Milliarden Euro geschätzt und die Bauarbeiten wohl erst Anfang der dreißiger Jahre beendet sein. Da die EDF mit Preisen von 2015 rechnet, werden es effektiv wohl 50 Milliarden Euro sein. Noch vor Beginn der Bauarbeiten war der damalige Finanzchef der EDF zurückgetreten, weil ihm diese Entwicklung schwante und er eine derartige Geldverschwendung nicht länger verantworten wollte (160314).
Die CDU tut deshalb gut daran, wenn sie in der Neubelebung der Kernenergie nur eine unverzichtbare "Option" sieht – unverzichtbar für ihre politische Propaganda, solange ein schlecht informiertes Wählerpublikum tatsächlich an diese angebliche Lösung aller Energieprobleme glaubt. – Und wenn sie die Hardcore-Variante dieser Propaganda der Schwesterpartei CSU überlässt, die schon immer weiter rechts ackerte und sich von der braun durchwirkten AfD nicht die Butter vom demagogischen Brot nehmen lassen möchte. Diese geht nämlich mit dem Patentrezept "Kernenergie und Kohle" schon seit Jahren erfolgreich auf Dummenfang, weil der Klimawandel sowieso nur eine Erfindung sei. Und beim zweiten Punkt kann die CSU nun wirklich nicht mithalten, ohne jeden Kredit bei halbwegs vernünftigen Menschen zu verlieren.