Dezember 2016

161202

ENERGIE-CHRONIK


Bundestag beschloß Neuregelung des Abbaues und der Entsorgung von Kernkraftwerken

Der Bundestag verabschiedete am 15. Dezember das "Gesetz zur Neuordnung der Verantwortung in der kerntechnischen Entsorgung", das künftig die End- und Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle dem Staat überträgt, während die Betreiber der Kernkraftwerke nur noch für deren Abbau und die Verpackung des dabei anfallenden Atommülls verantwortlich sind. Das Gesetz basiert auf dem Entwurf, den das Bundeskabinett am 9. Oktober beschloß (161005). Verabschiedet wurde es aber in Form eines inhaltlich gleichlautenden gemeinsamen Gesetzentwurfs, den die Fraktionen von Union, SPD und Grünen mit Datum vom 29. November vorlegten. Hinzu kamen noch etliche Änderungen, welche die drei Fraktionen in einer vom 14. Dezember datierten Beschlußempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie vereinbarten (siehe Wortlaut der Endfassung mit Änderungen).

Union und SPD mit Grünen in einem Boot 

Die Annahme des Gesetzes erfolgte in namentlicher Abstimmung mit 516 von 580 Stimmen. Die Fraktionen von Union, SPD und Grünen stimmten fast geschlossen für den von ihnen ausgehandelten Wortlaut. Die Fraktion der Linken sowie zwei Abgeordnete der CDU und eine Vertreterin der Grünen votierten mit Nein. Vier Abgeordnete der Grünen und zwei der SPD enthielten sich. Am folgenden Tag stimmte auch der Bundesrat zu. Das Gesetz kann damit vom Bundespräsidenten unterzeichnet und im Bundesgesetzblatt verkündet werden. In Kraft treten wird es aber erst, wenn die EU-Kommission die beihilferechtliche Genehmigung erteilt oder bekanntgibt, daß eine solche nicht erforderlich ist.

Paket enthält insgesamt vier Gesetze

Wie schon in der Regierungsvorlage enthält das insgesamt zehn Artikel umfassende Gesetz vier Einzelgesetze und diverse Änderungen anderer Gesetze. Artikel 1 regelt die "Errichtung eines Fonds zur Finanzierung der kerntechnischen Entsorgung", in den die KKW-Betreiber gemäß § 7 insgesamt 23,556 Milliarden Euro einzubringen haben. Artikel 2 enthält das "Gesetz zur Regelung des Übergangs der Finanzierungs- und Handlungspflichten für die Entsorgung radioaktiver Abfälle der Betreiber von Kernkraftwerken". Artikel 7 ist das "Gesetz zur Transparenz über die Kosten der Stilllegung und des Rückbaus der Kernkraftwerke sowie der Verpackung radioaktiver Abfälle". Als Artikel 8 folgt das "Gesetz zur Nachhaftung für Rückbau- und Entsorgungskosten im Kernenergiebereich". Weitere Artikel betreffen Änderungen des Atomgesetzes (Art. 3), des Standortauswahlgesetzes (Art. 4), der Endlagervorausleistungsverordnung (Art. 5) und der Strahlenschutzverordnung (Art. 6). Der Artikel 9, der bisher nur die Evaluierung des Gesetzes durch die Bundesregierung betraf, enthält nun an erster Stelle die Ermächtigung zum Abschluß eines öffentlich-rechtlichen Vertrags mit den KKW-Betreibern (161204) . Der Artikel 10 regelt das Inkrafttreten.

Befreiung von Entsorgungsverpflichtungen kostet Konzerne 23,5 Milliarden

Das Gesetzespaket überträgt dem Bund die Verantwortung für die Zwischen- und Endlagerung des Atommülls. Die finanziellen Mittel erhält er von den Stromkonzernen, die hierfür rund 17,34 Milliarden Euro in einen Fonds zahlen müssen. Bringen sie darüber hinaus weitere 6,12 Milliarden Euro für einen Risikozuschlag auf, sind sie von möglichen späteren Nachforderungen befreit. Bezahlt ein Betreiber diesen Aufschlag bis Ende 2022 nicht, soll er verpflichtet werden, bei Nachschußbedarf des Fonds die entsprechenden Mittel einzubezahlen. Die Verantwortung für die Stilllegung und den Abbau von Atomkraftwerken liegt dagegen bei den Konzernen, die auch weiterhin für die von ihnen erzeugten radioaktiven Abfälle haften.

"Atomkonzerne werden mit goldenem Handschlag aus der Verantwortung entlassen"

In der einstündigen Debatte begründete die Linke ihre Ablehnung des Gesetzes mit einer zu großen finanziellen Entlastung der Konzerne und der sich daraus ergebenden Belastung der Steuerzahler. Außerdem kritisierte sie ihre Nichteinbeziehung in die Kommission zur Überprüfung der Finanzierung des Kernenergieausstiegs (KFK), welche die jetzige Lösung vorbereitet hat (160402). Nach dem Willen einer "supergroßen Koalition" würden nun die Atomkonzerne "für einen Schnäppchenpreis von 23 Milliarden Euro von sämtlicher Verantwortung für die finanziellen Risiken des Atommüllerbes befreit", erklärte der Abgeordnete Hubertus Zdebel. Dabei würden die Konzerne in Wirklichkeit nicht einmal mit 23 Milliarden Euro belastet, sondern nur mit 17 Milliarden Euro, weil sie den Risikoaufschlag von 6,12 Milliarden Euro durch den Wegfall der Brennelementesteuer zum Jahresende einsparen könnten. "Die Atomkonzerne werden mit einem goldenen Handschlag aus der Verantwortung entlassen", meinte auch die umweltpolitische Sprecherin der Linken, Eva Bulling-Schröter.

Insgesamt geht es um 23 Reaktoren an 17 Standorten, die abgebaut und deren strahlende Hinterlassenschaften entsorgt werden müssen. Sie gehören jeweils vollständig oder mit wechselnden Beteiligungsverhältnissen den vier Konzernen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall (151004). Außerdem sind die Stadwerke München mit 25 Prozent an Isar 2 und die Stadtwerke Bielefeld mit 16,7 Prozent am Kernkraftwerk Grohnde beteiligt (nicht die Stadtwerke Bochum, wie in der FAZ vom 16.12. stand).

Für die Grünen geht es "nur noch um Schadensbegrenzung"

"Auch mich empört es, den Energiekonzernen finanzielle Risiken abzunehmen", konzedierte Sylvia Kotting-Uhl als Sprecherin der Grünen. In der aktuellen Situation könne es aber nur noch um Schadensbegrenzung gehen. Es gehe darum, "die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler davor zu bewahren, vollständig für die Hinterlassenschaften der Atomkraftnutzung zahlen zu müssen". Genau das hätten die Energiekonzerne im Sinn gehabt, als sie anfingen, ihre Unternehmen aufzuspalten (141203). Es sei gut gewesen, daß daraufhin der Wirtschaftsminister diesen Absichten sogleich einen Riegel vorgeschoben habe (150901). Es sei auch gut gewesen, daß er "eine heterogen zusammengesetzte Finanzierungskommission beauftragt hat, zu retten, was zu retten ist". Schlecht sei es allerdings gewesen, die Fraktion der Linken nicht einzubinden "und damit auf die Chance eines vom gesamten Parlament getragenen Gesetzes zu verzichten".

Der CDU-Abgeordnete Steffen Kanitz hielt es dagegen für richtig, die Linke ausgegrenzt zu haben. Er warf dem Abgeordneten Zdebel vor, daß dieser sich als Mitglied der Endlagerkommission (140513) deren Abschlußbericht widersetzt habe. "Sie haben dagegen gesprochen, trotz aller Angebote, die wir, die Vertreter von Grünen, CDU, SPD, Wissenschaft und Zivilgesellschaft, Ihnen gemacht haben. Das zeigt doch, daß Sie am Ende nicht an einem Konsens interessiert sind, sondern dagegen sind."

Nominell verfügen die Konzerne über Rückstellungen von 38 Milliarden Euro

Die vier KKW-Betreiber sind nach § 9a des Atomgesetzes schon immer verpflichtet gewesen, für die Beseitigung der von ihnen verursachten radioaktiven Abfälle zu sorgen. Sie haben auf dieser Grundlage auch Rückstellungen nach dem Handelsrecht gebildet, die in den Geschäftsbüchern zuletzt mit über 38 Milliarden Euro ausgewiesen wurden (151004). Nach Zahlung der 23 Milliarden Euro zur Befreiung von den Entsorgungslasten würden ihnen somit noch immer 14 Milliarden für den Abbau der Kernkraftwerke und die Verpackung der radioaktiven Abfälle zur Verfügung stehen. Allerdings sind diese Rückstellungen nicht ohne weiteres verfügbar, und auch ihre tatsächliche Höhe ist zweifelhaft. Mit den steuerfreien Rückstellungen haben die Atomkonzerne nämlich ihre geschäftliche Expansion finanziert, was kleinere Konkurrenten vergebens zu unterbinden versuchten (071115). Die Rückstellungen sind deshalb schwer aktivierbar und ihr tatsächlicher Wert muß keineswegs dem entsprechen, mit dem er in den Büchern steht.

Kernkraftwerke sind jetzt "unverzüglich stillzulegen und abzubauen"

Um sicherzustellen, daß die KKW-Betreiber die ihnen verbliebenen Rückstellungen tatsächlich zur Beseitigung stillgelegter Kernkraftwerke und nicht weiter für andere Geschäftszwecke verwenden, enthält das nunmehr verabschiedete Gesetz in Art. 3 eine wichtige Änderung des Atomgesetzes: Die Betreiber sind nunmehr verpflichtet, die Anlagen nach Beendigung des Leistungsbetriebs "unverzüglich stillzulegen und abzubauen". Diese Vorsichtsmaßnahme mindert auch das Risiko, daß einer der KKW-Betreiber insolvent wird, bevor er seiner Abbauverpflichtung nachgekommen ist.

 

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