September 2015 |
150901 |
ENERGIE-CHRONIK |
Nach Medienberichten reichen die Rückstellungen der vier KKW-Betreiber bei weitem nicht aus, um den Rückbau und die Stillegung der Kernkraftwerke sowie die Kosten für Entsorgung und Endlagerung abzudecken. Zum Beispiel veröffentlichte die in Düsseldorf erscheinende "Rheinische Post" die oben genannten Zahlen zu den bisherigen Rückstellungen und Fehlbeträgen, die sie "aus Berliner Kreisen" erfahren haben will. Das Bundeswirtschaftsministerium bestritt dagegen am 15. September, daß die Ergebnisse des von ihm in Auftrag gegebenen "Stresstests" bereits vorlägen. |
Das Bundeswirtschaftsministerium hat am 2. September die Anhörung zu einem Gesetzentwurf eingeleitet, der verhindern soll, daß sich die Energiekonzerne ihren nuklearen Entsorgungsverpflichtungen entziehen. Die ohnehin stark lädierten Börsenwerte von RWE und E.ON gingen nach Bekanntwerden des Gesetzentwurfs weiter in den Keller. Der E.ON-Konzern teilte daraufhin am 9. September mit, daß er das geplante Gesetz für "voraussichtlich verfassungswidrig" halte, aber einen jahrelangen Rechtsstreit bei der Neuausrichtung seines Geschäfts nicht abwarten könne. Er werde deshalb auf die geplante Abspaltung des Kernenergie-Bereichs nach Art einer "Bad Bank" (141203) vorerst verzichten. Stattdessen werde das Geschäft mit der Kernenergie künftig von einer "gesonderten operativen Einheit" mit dem Namen PreussenElektra in Hannover gesteuert. Im übrigen bleibe es aber bei der Aufspaltung des Konzerns in zwei Bereiche mit der Neugründung "Uniper" (150403).
"Mit dieser Entscheidung beugen wir Risiken für die Umsetzung unserer Konzernstrategie vor, denn wir können und wollen nicht auf etwaige politische Entscheidungen warten, die die Abspaltung von Uniper verzögern könnten", sagte der E.ON-Vorstandsvorsitzende Johannes Teyssen mit Blick auf das geplante Haftungsgesetz. Es habe vermieden werden müssen, daß der beim Stammkonzern verbleibenden lukrativere Teil des Geschäfts sowie der Start der Ausgründung Uniper durch "das Risiko einer gesetzlich verankerten Entkopplung zwischen Haftung und unternehmerischem Einfluß" belastet wird. So aber könne die Aufspaltung des Geschäfts im vorgesehenen Zeitrahmen umgesetzt werden. Gleichzeitig begegne man damit "der in jüngster Zeit zunehmend zum Ausdruck gebrachten Sorge, E.ON wolle sich der Verantwortung für die Kernenergie entledigen".
Als Folge der Entscheidung wird das konventionelle Kraftwerksgeschäft, das "Uniper" übernimmt, nur noch aus Kohlekraftwerken bestehen. Die drei noch in Betrieb befindlichen Kernkraftwerke sowie rund 2.300 Beschäftigte verbleiben dagegen im Stammkonzern und bilden dort den neuen Bereich PreussenElektra, der aber "weitgehend nicht in die funktionalen Führungsstrukturen des Konzerns eingebunden" werden soll. Die Leitung dieser Atomsparte übernimmt der bisherige Leiter des Bereichs Politik und Kommunikation, Guido Knott.
Die PreussenElektra AG in Hannover gehörte einst zum exklusiven Kreis der deutschen Verbundunternehmen und war einer der größten Kernkraftwerksbetreiber, ehe sie im Rahmen der Fusion der beiden Konzerne Veba und Viag zu E.ON mit der Bayernwerk AG zur E.ON Energie AG verschmolzen wurde (000704). Vor gut zwei Jahren hat E.ON bereits die Bayernwerk AG fröhliche Urständ feiern lassen, indem dieser Name nun für die Netzgesellschaft der früheren E.ON Bayern AG verwendet wurde (131204). Mit dem Wiederaufleben der PreussenElektra wird somit zum zweiten Mal ein vor 15 Jahren eingemotteter Firmenname neu verwendet, der in diesem Fall die bisherige E.ON Kernkraft GmbH ersetzt. Deren bisheriger Chef Ralf Güldner, der als Präsident des "Deutschen Atomforums" gewissermaßen das Gesicht der deutschen Atomwirtschaft war (100516), geht vorzeitig in den Ruhestand.
Das sogenannte Rückbau- und Entsorgungskostennachhaftungsgesetz, das jetzt vom Bundeswirtschaftsministerium als Referentenentwurf vorgelegt wurde, soll die bestehende Rechtsunsicherheit bei der Haftung für den Rückbau und die Entsorgung der Kernkraftwerke beseitigen. Nach Abschluß der Länder- und Verbändeanhörung wird sich das Kabinett noch in diesem Herbst mit dem Gesetz befassen. Vor allem geht es darum, daß sich die für die Nuklearverbindlichkeiten bestehende Anzahl der Haftungsträger nicht infolge von Konzernumstrukturierungen oder der Kündigung von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen verkleinert.
Aktueller Anlaß für die Ausarbeitung des Gesetzentwurfs war die von E.ON angekündigte Aufspaltung in zwei Unternehmen, die offensichtlich den Zweck verfolgte, den lukrativen Teil des Konzerngeschäfts von der konventionellen Stromerzeugung inklusive der Kernkraftwerke zu trennen, die immer weniger profitabel wird und im Falle der Kernenergie sogar mit Risiken in mindestens zweistelliger Milliardenhöhe verbunden ist. Zuvor hatte bereits der Vattenfall-Konzern seine deutsche Tochter, die bis dahin eine Aktiengesellschaft war, in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) umgewandelt. Mit dem bisherigen Beherrschungsvertrag endete die Haftung des schwedischen Mutterkonzerns und des hinter ihm stehenden schwedischen Staats für die nuklearen Risiken seines Kernenergiegeschäfts und dessen Hinterlassenschaften in Deutschland (140501).
Parallel zur Ausarbeitung des Gesetzentwurfs beauftragte das Bundeswirtschaftsministerium im Juni die Düsseldorfer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Warth & Klein Grant Thornton AG mit der Durchführung eines "Stresstests". Dabei wird untersucht, wieweit die von den KKW-Betreibern E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall gebildeten Rückstellungen ausreichen, um den Rückbau und die Stillegung der Kernkraftwerke sowie die Kosten für Entsorgung und Endlagerung abzudecken. Am 15. September dementierte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel, daß die Ergebnisse dieser Untersuchung bereits vorlägen. "Die aktuellen Zahlenspiele sind keine Grundlage für unser konkretes politisches Handeln", betonte er mit Blick auf die Finanzierungslücke von 30 Milliarden Euro, die am 14. September "spiegel-online" vermeldete, sowie die noch präziseren Angaben, die kurz darauf die in Düsseldorf erscheinende "Rheinische Post" veröffentlichte (siehe Grafik). Die Börsenkurse der KKW-Betreiber waren daraufhin zusätzlich stark unter Druck geraten. Nach Gabriels Ansicht gab es für diese "negativen Marktreaktionen" überhaupt keinen Anlaß.