Dezember 2024 |
241202 |
ENERGIE-CHRONIK |
Das Bundeskartellamt hat am 25. November seinen fünften Marktmachtbericht über die "Wettbewerbsverhältnisse bei der Erzeugung elektrischer Energie" vorgelegt (PDF). Der 123 Seiten umfassende Bericht untersucht den Zeitraum vom 1. Mai 2023 bis zum 30. April 2024. Sechs Jahre nach der von den beiden Großkonzernen E.ON und RWE vereinbarten (180301) und von den Kartellbehörden genehmigten (190901) Aufteilung des deutschen Strommarktes gelangt die Behörde ein weiteres Mal zu der nicht gerade überraschenden Feststellung, das RWE mit Abstand der marktmächtigste Stromerzeuger geworden ist (und E.ON der marktmächtigste Stromvertrieb, müsste man hinzufügen). In der Pressemitteilung der Behörde umreißt ihr Präsident Andreas Mundt diesen Sachverhalt folgendermaßen:
"Die strukturelle Marktmacht im Bereich der Stromerzeugung besteht fort. Die Kraftwerke des mit Abstand führenden Anbieters RWE waren im Vergleich zum vorherigen Berichtszeitraum zwar in weniger Stunden für die Deckung der Stromnachfrage unverzichtbar. Das Ausmaß der Unverzichtbarkeit – also die Zeiträume, in denen RWE den Marktpreis gezielt erhöhen könnte – lag aber immer noch in der Größenordnung der Vermutungsschwelle für eine marktbeherrschende Stellung. Für die nächstgrößten Anbieter LEAG und EnBW lagen die Werte im vergangenen Bericht noch in der Nähe der Schwelle, sind aber ebenfalls gesunken und liegen nun deutlich unterhalb. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass lediglich das außergewöhnliche Marktumfeld der Marktmacht entgegengewirkt hat. Die Lage wäre sonst noch angespannter."
Der Bericht befasst sich aber auch mit der Frage, wie bereits erkennbare Entwicklungen sich voraussichtlich auf die Marktmacht auswirken werden. Hier sieht Mundt ebenfalls keinen Anlass zur Entwarnung:
"Derzeit sind keine Anzeichen für eine sich weiter fortsetzende Entspannung der Marktmachtverhältnisse erkennbar. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Wir gehen davon aus, dass die RWE-Kraftwerke seit Mai 2024 wieder häufiger unverzichtbar gewesen sind und sich dieser Trend fortsetzen dürfte. Auch die Unverzichtbarkeit der Kraftwerke der nächstgrößten Erzeugungsunternehmen LEAG und EnBW dürfte aufgrund der erkennbaren Marktentwicklungen wieder zunehmen."
Bei einer speziellen Form der Stromerzeugung, nämlich der für Regelenergie, ist die EnBW sogar unverzichtbarer als RWE, wie das Bundeskartellamt bereits in seinem dritten Marktmachtbericht vom Februar 2022 feststellte (220209) und jetzt nochmals bekräftigte: "Die analysierten Daten zeigen eine sehr hohe Bedeutung von Pumpspeicheranlagen für die sogenannte positive Sekundärregelung sowie eine sehr hohe Anbieterkonzentration mit EnBW als dem führenden Anbieter. Die Daten deuten auf eine marktbeherrschende Stellung dieses Unternehmens hin."
An die hundertmal taucht in dem Bericht des Bundeskartellamts das Wort "pivotal" auf, auch in Verbindungen wie "Pivotalität von RWE" oder innerhalb einer mathematischen Formel. Es handelt sich aber um keine höhere Mathematik, sondern schlicht um ein englisches Wort, das soviel wie entscheidend, ausschlaggebend oder unverzichtbar bedeutet. Zum Beispiel geht es bei der Pivotalität eines Stromerzeugers um die Frage, wann er soviel Marktmacht ausspielen kann, dass keiner um ihn herumkommt. Das muss in der Stromwirtschaft nicht unbedingt RWE sein, und eine mehrheitliche oder dauerhafte Marktbeherrschung ist auch nicht Voraussetzung. Es kommt vielmehr auf die jeweiligen Umstände an. Zum Beispiel ist die Unverzichtbarkeit oder "Pivotalität" eines Stromanbieters schon dann gegeben, wenn er der einzige ist, der bei einer "Dunkelflaute" mit seiner noch verfügbaren Kraftwerkskapazität die letzte Lücke zwischen Erneuerbaren-Einspeisung und Residuallast schließen kann. Und mit Hilfe dieser Marktmacht kann er dann auch den Preis bestimmen.
Die Verfasser des Marktmachtberichts wussten natürlich noch nichts von der Dunkelflaute, die am 11./12. Dezember den Preis der Megawattstunde an der Epex Spot bis auf das Zwölffache explodieren ließ, weil der Residuallast mangels verfügbarer konventioneller Kapazitäten mit teuren Importen aufgeholfen werden musste (241201). Aber es gab ja schon genug ähnliche Situationen. So stellen sie fest, dass RWE während einer Phase niedriger Windeinspeisung in der Kalenderwoche 48 vor einem Jahr "über einen längeren, zusammenhängenden Zeitraum hinweg pivotal" gewesen sei. Dabei war der damalige Preisanstieg, der an vier Tagen die Grenze von 180 Euro/MWh überschritt und maximal 231 Euro/MWh betrug, vergleichsweise bescheiden. Im Sommer 2023, in den Kalenderwochen 23 bis 35, sei RWE an Arbeitstagen während der Morgen- und Abendstunden (niedrige PV-Einspeisung bei hoher Last) ebenfalls pivotal gewesen.
In seiner Pressemitteilung zum Marktmachtbericht erwähnte das Bundeskartellamt zusätzlich noch den 6. November 2024, als der Day-ahead-Preis um 17 Uhr bis auf 820 Euro/MWh anstieg, um dann festzustellen:
"Mit dem Marktmachtbericht können wir keine förmliche Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung treffen", gab Mundt zu bedenken. "Dies kann letztlich nur im Rahmen einer konkreten Einzelfallentscheidung erfolgen." Das von seiner Behörde festgestellte Ausmaß der Unverzichtbarkeit und ihre systematische Vorhersehbarkeit würden aber darauf hindeuten, dass RWE das kartellrechtliche Missbrauchsverbot beachten müsse. Insbesondere dürften Stromerzeuger mit einer marktbeherrschenden Stellung keine wirtschaftlich einsetzbaren Erzeugungskapazitäten gezielt zurückhalten und dadurch den Preis in die Höhe treiben. Ein solches Verhalten wäre vielmehr missbräuchlich und verboten.