Dezember 2024 |
241201 |
ENERGIE-CHRONIK |
Eigentlich hätten genügend konventionelle
Kraftwerksreserven zur Verfügung stehen müssen, um die "Dunkelflaute"
bei den erneuerbaren Stromquellen Wind und Sonne auszugleichen, die in
der zweiten Dezember-Woche auftrat. Da dies anscheinend nicht der Fall
war, wurden sie durch teuere Importe ersetzt (weiße Flächen unterhalb
der Lastkurve). Daraufhin explodierten die Preise am Spotmarkt: Am
11.12. kostete die Megawattstunde im vortägigen Handel bis zu 445 Euro
und im Intraday-Handel sogar bis zu 1.158 Euro (jeweils um 17 Uhr). Am
folgenden Tag wiederholte sich die Mangelsituation, wodurch der
Intraday-Preis bereits um 9 Uhr auf 990 Euro anstieg und der
Day-ahead-Preis bis 17 Uhr sogar 936 Euro/MWh erreichte.
Quelle: Energy Charts
|
Der Börsenstrompreis erreichte in der zweiten Dezember-Woche bislang unerreichte Höhen, weil während einer "Dunkelflaute" die Unterdeckung der Residuallast mit Importen ausgeglichen wurde, anstatt inländische Kraftwerksreserven zu aktivieren. Die stundenlang stark überhöhten Strompreise dürften dabei den Betreibern konventioneller Kraftwerke mehr eingebracht haben als die Erlöse, die sie mit der Einbringung zusätzlicher Kapazitäten in den Markt hätten erzielen können. Die Bundesnetzagentur will nun überprüfen, ob tatsächlich verfügbare konventionelle Kapazitäten ungenutzt geblieben sind und gegebenenfalls weitere Ermittlungen einleiten. Das Bundeskartellamt machte sich bereits im November Gedanken über die "Pivotalität von RWE" und stellte dabei fest, dass derart marktbeherrschende Unternehmen "keine wirtschaftlich einsetzbaren Erzeugungskapazitäten gezielt zurückhalten und dadurch den Preis in die Höhe treiben" dürften (241202).
"Neben der Dunkelflaute ist auch die Nichtverfügbarkeit von über 11 GW konventioneller Kraftwerksleistung für diesen hohen Preis verantwortlich", bemerkte dazu noch am selben Tag in einer Kurznachricht auf "X" Prof. Bruno Burger, der beim Fraunhofer ISE die von ihm initiierte stromwirtschaftliche Informationsplattform "Energy Charts" leitet. Auf Nachfrage erläuterte er, dass alle am Strommarkt teilnehmenden Kraftwerke melden müssen, wenn sie nicht oder nur teilweise verfügbar sind. Dabei werden keine Gründe für die gemeldete Nichtverfügbarkeit angegeben. Kraftwerke außerhalb des Strommarkts – also die Netzreserve und die Kapazitätsreserve – unterliegen der Anzeigepflicht nicht.
Die Frage müsste demnach lauten, ob sämtliche als nichtverfügbar gemeldeten Kraftwerke tatsächlich nicht einsatzfähig gewesen sind. Oder ob es anderweitig einsatzfähige Kapazitäten gegeben hat, die weder aktiviert noch als nichtverfügbar gemeldet wurden. In Fällen wie dem Steinkohlekraftwerk Datteln 4, das wegen eines Trafobrands seit Oktober vom Netz ist und voraussichtlich erst Anfang Februar wieder zur Verfügung steht, braucht nicht weiter nachgeforscht zu werden. Bei kurzfristigen Nichtverfügbarkeiten von ein oder zwei Tagen, die sich mit der prognostizierten Dunkelflaute überschneiden, könnte eine Überprüfung aber schon sinnvoll sein. Und falls dann tatsächlich 11 Gigawatt Erzeugungskapazität komplett nicht einsatzfähig gewesen sein sollten, wäre das keineswegs ein Grund zur Entwarnung. Es wäre vielmehr ein Armutszeugnis für ein deutsches Strommanagement, das es es nicht fertigbringt, genügend steuerbare Kapazitäten bereitzuhalten, um die Residuallast auch bei Dunkelflauten ohne den Rückgriff auf Importe ausgleichen zu können (wobei solche Importe durchaus sinnvoll sein können, wenn sie billiger als die inländische Erzeugung sind, worauf man sich aber keinesfalls verlassen darf).
Konkret sah die Situation so aus, dass vor allem am 11. und 12. Dezember die Einspeisung aus erneuerbaren Stromquellen stark zurückging, die sonst regelmäßig den Börsenpreis senkt und bei einem Überangebot sogar negativ werden lässt. Zum Beispiel stand am 12. Dezember zwischen 7 und 19 Uhr einer Last von durchschnittlich 66.577 MW nur eine Erneuerbaren-Einspeisung von 9.388 MW sowie eine konventionelle Stromerzeugung von 38.455 MW gegenüber. Normalerweise hätte in diesen 13 Stunden die ungedeckte Residuallast von durchschnittlich 18.734 MW durch das Hochfahren von Gas- oder Kohlekraftwerken ausgeglichen werden müssen. Solche ungenutzten Kapazitäten gab es wohl auch. Sie wurden aber nicht in den Markt eingebracht, sondern durch Importe ersetzt. Besonders drastisch wirkte sich das um 17 Uhr aus, als der Day-Ahead-Preis, der sonst im Mittel knapp 600 Euro pro Megawattstunde erreichte, bis auf 936 Euro hochschoss (siehe Grafik). Das war mehr als das Zwölffache des durchschnittlichen Börsenpreises (Phelix base), der in diesem Jahr bisher bei 76 Euro lag (im Vorjahr waren es noch 95 Euro), während er vor der Energiekrise der Jahre 2021/22 im langjährigen Mittel seit 2002 nur etwa 38 Euro/MWh betragen hatte.
Einen derartigen Preisanstieg bei den stündlichen Notierungen hatte es selbst während der Strompreiskrise der Jahre 2021/22 nicht gegeben. Lediglich die Preisexplosion vom 25. Juni dieses Jahres war mit 2.326 Euro/MWh noch stärker (240601). Diese hatte jedoch andere Ursachen, da sie durch ein mißglücktes Update der Börsen-Software in Verbindung mit anschließenden Management-Fehlern der EEX-Tochter Epex Spot ausgelöst wurde (240703).
Der aktuelle Preisanstieg widerspiegelte dagegen das normale Marktgeschehen, das allerdings von einem starken Mißverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage geprägt war: Dieses Mißverhältnis ergab sich daraus, dass nicht genügend konventionelle Kraftwerke eingesetzt wurden, um die durch eine "Dunkelflaute" vorübergehend stark verringerte Einspeisung von Wind- und Solarstrom auszugleichen, obwohl solche steuerbaren Kapazitäten anscheinend verfügbar gewesen wären.
Bereits am 7. November hatte es eine ähnliche Situation gegeben, die den Day-ahead-Preis bis 820 Euro/MWh hochtrieb. Und auch am Vortag, dem 11. Dezember, war er bis auf 445 Euro/MWh hochgeschossen. Zugleich erreichten die Preise im Intraday-Handel sogar 1.158 Euro/MWh, was ein deutliches Signal gewesen wäre, nicht weiterhin auf vermeintlich günstige Importe zu vertrauen.
Derartige "Dunkelflauten" treten jährlich mehrfach und besonders in der kalten Jahreszeit auf. Sie sind durchaus beherrschbar und bedeuten keineswegs eine Gefährdung oder gar den Zusammenbruch der Stromversorgung, wie der Begriff oft mißverstanden wird. Voraussetzung ist allerdings, dass das notwendige Instrumentarium bereitgehalten und im Bedarfsfall auch eingesetzt wird. Bisher gibt es aber keine verbindliche Regelung, die den Ausgleich der Residuallast durch inländische Erzeugung sicherstellt. Es müsste schon eine explizite "Gefährdung der Sicherheit und Zuverlässigkeit des Elektrizitätsversorgungssystems" vorliegen – also auch die Importmöglichkeit entfallen – , damit die Bundesnetzagentur den Einsatz der "Netzreserve" anordnen könnte, die laut Verordnungstext "insbesondere für die Bewirtschaftung von Netzengpässen und für die Spannungshaltung" gedacht ist.
Durch das Fehlen eines speziellen Instrumentariums, das die Abdeckung der Residuallast durch inländische Erzeugung jederzeit sicherstellt, hatte Deutschland am 11. Dezember einen Importüberschuss von 311 Gigawattstunden und am Folgetag von 325 GWh. Rein technisch war damit alles wieder im Lot. Die Versorgungssicherheit war zu keinem Zeitpunkt gefährdet. Die Rechnung für die teuren Importe mussten jedoch die Stromverbraucher bezahlen, während RWE und andere Kraftwerksbetreiber sich über Strompreise freuen durften, die viele Stunden lang mehrfach so hoch waren wie üblich.
Böse Zungen unterstellen deshalb, dass die Kraftwerksbetreiber kein Interesse gehabt hätten, ungenutzte Gas- oder Kohlekapazitäten zu aktivieren, weil das eine preissenkende Wirkung gehabt hätte – und es für sie viel einfacher gewesen sei, ohne jeglichen Aufwand an den durch Verknappung steigenden Preisen zu verdienen. Möglicherweise erklärt sich die Unlust der Betreiber aber schon daraus, dass es aus ihrer Sicht nicht lohnte, kurzfristig Kapazitäten hochzufahren, die nach ein oder zwei Tagen schon nicht mehr benötigt würden. Vor allem gilt das für Steinkohle-Blöcke, weniger für Gas. Hinzu kam vielleicht eine falsche Einschätzung der tatsächlichen Importkosten, denn noch am Vortag war ja der Day-ahead-Preis trotz einer ähnlich gearteten und ebenfalls mit Importen gedeckten Bedarfslücke "nur" bis 445 Euro/MWh gestiegen.
Da mit baldigen Wiederholungen und noch kräftigeren Ausschlägen zu rechnen ist, hielt es der Branchenverband BDEW für angebracht, die Bedeutung solcher Preisspitzen zu relativieren: "Haushalte und Unternehmen mit langfristigen Lieferverträgen spüren wenig von den Preissprüngen an der Strombörse", versicherte er am 19. Dezember in einer Stellungnahme. "Sie beziehen ihren Strom über einen Versorger, der die Preisrisiken über eine strukturierte Beschaffung im Voraus langfristig absichert. Das ist vergleichbar mit Aktien- oder Indexfonds, bei denen die Endverbraucher auch nicht direkt an der Börse einkaufen, sondern über Zwischenhändler die Volatilität der Preisentwicklungen abfedern."
Tatsächlich wird nur etwa ein Viertel des gesamten Stromverbrauchs an der Strombörse EEX gehandelt. Der von der EEX-Tochter Epex Spot ermittelte Preis für Stromlieferungen am Folgetag betrifft deshalb nur einen kleineren Teil des jeweiligen Stromverbrauchs – zum Glück, muss man sagen. Andernfalls hätte die 13-stündige Hochpreisphase am 12. Dezember die Kosten des Gesamtverbrauchs von 865.502 Megawattstunden um 450 Millionen Euro erhöht. Beim bisherigen durchschnittlichen Preisniveau von 76 Euro/MWh hätten sie nur 65,8 Millionen Euro betragen. Stattdessen wären sie um fast das Achtfache auf über 515 Millionen Euro angestiegen.
Industrielle Großverbraucher oder Weiterverkäufer wie Stadtwerke werden von solchen Preisspitzen am Spotmarkt also nur insoweit direkt betroffen, wie sie einen mit längerfristigen Verträgen gesicherten Grundbedarf durch Zukäufe am Spotmarkt ergänzen. Besonders schlimm wird es für Weiterverkäufer, die sozusagen von der Hand in den Mund leben und deshalb ganz vom Spotmarkt abhängig sind. Diese Abhängigkeit hat schon manchem "Strom-Discounter" das Genick gebrochen. Man denke nur an die Situation im vierten Quartal 2021, als eine ganze Reihe solcher oft unseriösen Stromvertriebe kollabierte (211002, 211107, 211201, 211202, 220103, 220207).
Prekär wird es aber auch für Haushalte und andere Endkunden, die sich für einen jener "dynamischen" Stromtarife entscheiden, die ab dem neuen Jahr jeder Versorger als Wahlmöglichkeit anbieten muss (230106). Voraussetzung ist natürlich, dass der Endkunde über einen "Smart Meter" und damit über einen Zähler mit registrierender Leistungsmessung (RLM) verfügt, wie das bisher nur bei gewerblichen Kunden mit größerem Stromverbrauch üblich war. Voraussetzung ist ferner, dass der Stromverbrauch tatsächlich stündlich anhand des Börsenpreises abgerechnet wird und nicht bloß aufgrund eines "variablen" Tarifs, der weder Fisch noch Fleisch ist, indem er beispielsweise einen ganzen Monat zugrunde legt. Solche privaten Endkunden – die es bisher nur in sehr geringer Anzahl gibt – werden dann ebenfalls direkt von einer stundenlangen Vervielfachung des Börsenstrompreises getroffen, falls ihnen ihr Versorger nicht netterweise eine Warnung zukommen lässt, dass sie am nächsten Tag zu bestimmten Zeiten tunlichst wenig oder gar keinen Strom verbrauchen sollten (240601). Der Normalverbraucher sollte deshalb von solchen "dynamischen" Tarifen tunlichst die Finger lassen, wenn er nicht ganz besondere Gründe hat, seinen Stromverbrauch nach dem Börsenpreis zu richten, wie sich das vielleicht für die Besitzer von Elektroautos oder Wärmepumpen lohnen könnte.
Die große Masse der Privatverbraucher, die vorläufig weiterhin per Standard-Lastprofil (SLP) abgerechnet wird, leidet indessen ebenfalls unter Preissprüngen an der Strombörse. Der einzige Unterschied ist, dass sich die Preisspitzen nicht auf die individuelle Stromrechnung oder den jeweils geltenden Liefervertrag auswirken, sondern auf das allgemeine Strompreisniveau. Und diese Auswirkungen sind nicht so marginal, dass man sie als Peanuts abtun könnte. Schon ein paar solcher Preisspitzen reißen volkswirtschaftlich ein Milliarden-Loch auf, aus dem die einen schöpfen können, während die anderen reinfallen.
Die Ampel-Koalition befand sich deshalb auf dem richtigen Weg, als sie nach einigem Hin und Her im Juli dieses Jahres eine "Kraftwerksstrategie" vorlegte, die schon die bloße Bereithaltung von Gaskraftwerken vergüten sollte (240708). Das Ziel war dabei vor allem die sichere Abdeckung der Residuallast auch bei Dunkelflauten. In einem ersten Schritt sollten 5 Gigawatt an Gaskraftwerken ausgeschrieben werden, die acht Jahre nach der Inbetriebnahme auf Wasserstoff umgestellt sein mussten. Diese Anlagen hätten dann mit "grünem" Wasserstoff betrieben werden können, der per Elektrolyse aus Erneuerbaren-Srom erzeugt wird. Zwei weitere Anlagen mit 500 MW sollten in Verbindung mit zwei entsprechend dimensionierten Langzeitspeichern von vornherein nur mit grünem Wasserstoff betrieben werden. Perspektivisch ließe sich so irgendwann die gesamte Stromversorgung einschließlich der Deckung der Residuallast auf erneuerbare Energien umstellen.
Aber leider scheiterte auch dieses Vorhaben an den Quertreibereien der FDP, die am 6. November das vorzeitige Ende der Ampel-Koalition bewirkten (241101 und Hintergrund). Just am 11. Dezember, als die "Dunkelflaute" einsetzte, gab Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck offiziell bekannt, dass das geplante "Kraftwerkssicherheitsgesetz" in dieser Legislaturperiode nicht mehr verabschiedet werden könne, da es an der dafür notwendig Mehrheit im Bundestag fehle.
Die Sicherheit und Wirtschaftlichkeit der Stromversorgung sind indessen zu wichtig, um lange darauf zu warten, bis sich doch noch eine parlamentarische Mehrheit zur Verabschiedun der Gesetzesvorlage findet. Der BDEW-Chefin Kerstin Andreae ist deshalb beizupflichten, wenn sie feststellte:
"Der Zubau steuerbarer Kraftwerkskapazitäten bleibt hochgradig zeitkritisch. Daher muss dies auf die 100-Tage-Agenda einer neuen Regierung. Nur so können wir die Versorgungs- und Systemsicherheit langfristig gewährleisten und gleichzeitig den Kohleausstieg umsetzen. Wir stehen vor der Herausforderung, dass der Wandel zu einem klimaneutralen Stromsystem flexibel sowie schnell hoch- und runterfahrbare Kraftwerke als Partner der Erneuerbaren Energien erfordert. Diese zusätzlichen steuerbaren Kraftwerke sind unverzichtbar, um die Schwankungen von Wind- und Sonnenenergie auszugleichen und die Stabilität des Stromnetzes sicherzustellen."
zu starken Preisausschlägen an der Börse
zur Verbesserung der Residuallast-Deckung