Januar 2024

240101

ENERGIE-CHRONIK





Im brandenburgischen Zossen teilt sich die "DDV Dein Strom Direktvertrieb GmbH" den Briefkasten mit 50 anderen Firmen. Bei einem weiteren solchen Gemeinschafts-Briefkasten, den das MDR-Magazin "Umschau" in Berlin entdeckte, sind es sogar noch viel mehr Firmen.

Abzocke und Betrug mit Solar-Anlagen häufen sich

Die enorme Popularität der Photovoltaik wird inzwischen systematisch von Abzockern und Betrügern mißbraucht. Das gilt sowohl für die hohe Bereitschaft von Hauseigentümern, sich eine eigene Solaranlage aufs Dach zu setzen, als auch für die sogenannten "Balkonkraftwerke", die Mietern eine bescheidene Eigenstromerzeugung ermöglichen. In beiden Fällen erfolgt der Kundenfang häufig über Telefonwerbung (die an sich schon untersagt ist). Als Vertriebskanal noch wichtiger ist eine raffiniert gestaltete Werbung im Internet, deren mangelnde Seriosität für Nichtfachleute schwer erkennbar ist, deren Plazierung in publikumsträchtigen Portalen aber sehr viel Geld kostet. Ebenso wird von den unseriösen Firmen nicht an Kosten gespart, um ihren eigenen Internet-Auftritt möglichst überzeugend und vertrauenserweckend zu gestalten, auch wenn sich hinter einem angeblichen "Kompetenzzentrum" nur eine alte Lagerhalle verbirgt.

Die enormen Summen, die solche Firmen allein schon für die Werbung bzw. den Vertrieb ausgeben, fehlen dann schnell bei der Finanzierung der versprochenen Leistungen. Mitunter verschwinden die Zahlungen der Kunden aber auch auf mysteriöse Weise für andere Zwecke, was von vornherein eine Betrugsabsicht vermuten lässt. In beiden Fällen haben die Kunden neben einem mehr oder weniger hohen finanziellen Schaden auch noch viel anderen Ärger, während die unseriösen Firmen entweder Insolvenz anmelden oder einfach auf Tauchstation gehen und nicht mehr ansprechbar sind.

Kunden verlieren bis zu 200.00 Euro – "Das ist wie eine Hydra"

Schon im Oktober vorigen Jahres berichtete das ARD-Politikmagazin "Report Mainz", dass bundesweit gegen gegen diverse Firmen ermittel werde, die Solaranlagen vertreiben. Manche Kunden hätten durch den Abschluss solcher Verträge einen Schaden von bis zu 200.000 Euro erlitten. "Die Firmen, die sich hier als grenzwertig zeigen, haben deutlich zugenommen", erklärte dazu die Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. "Manche haben auch ihren Namen geändert, nachdem wir sie abgemahnt haben. Aber die sind schon wieder auffällig. Also es hört nicht auf, das ist wie eine Hydra."

 


Äußerlich macht der Sitz der Firma Envoltec (links) deutlich mehr her als der "Betriebshof" im privaten Anwesen des Eigentümers der Firma DDV (rechts). Beides sind aber dubiose Unternehmen.


Über 850 neue Geschädigte durch die sächsische Firma "Envoltec"

Am 16. Januar berichtete das Fernsehmagazin "Umschau" des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) über einen neuen Fall mit 850 Betroffenen und hohem Millionenschaden, für den die Firma Envoltec verantwortlich ist, die ihren Hauptsitz in Schkeuditz bei Leipzig hat. Früher soll diese Firma mit dem pompös-denglischen Namenszusatz "Energy for everyone" 50 Mitarbeiter gehabt haben. Jetzt sind die Büros verlassen. Die Inhaber reagieren nicht auf schriftliche Anfragen. Der Insolvenzverwalter will sich nicht vor der Kamera äußern. Das tut nur der Rechtsanwalt, der Dutzende Geschädigte vertritt, die bis zuletzt gehofft hatten, dass ihre Anlagen doch noch fertig werden: "Ich befürchte, dass es da gar keine Aussichen gibt", meint er. "Die Kunden müssen vom schlimmsten ausgehe. Ich denke, dass es eine Fortführung der Verträge durch die Envoltec nicht geben wird." Außerdem sei schon bei den Verträgen einiges seltsam gewesen: "Wir müssen davon ausgehen, dass die Kunden Kaufpreise unterschrieben haben, die doppelt so hoch sind wie die am Markt üblichen."

"Von jeder verkauften Anlage sind 50 Prozent in den Vertrieb geflossen"

Ein ehemaliger Mitarbeiter berichtet, wie er den Niedergang der Firma erlebte: "Die Auftragslage wurde immer weniger, das Material wurde immer weniger; vermutlich lag das daran, dass der Geldfluss nicht so war, wie er hätte sein müssen." Ehemalige Geschäftspartner werfen der Firma vor, sie habe mit einem zu teuren Vertrieb gearbeitet: "Von jeder verkauften Anlage sind 50 Prozent in den Vertrieb geflossen." Das Geld der Kunden sei für Vertrieb, hohe Büromieten, Dienstreisen und Autos verwendet worden, anstatt für die Installation der Anlagen. Auch diverse Händler und Bauunternehmen seien nicht bezahlt worden. Eine Sprecherin der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt in Halle sieht ebenfalls wenig Chancen, dass die Betroffenen wenigstens eine finanzielle Entschädigug bekommen: "Wenn ein Insolvenzverfahren eingeleitet wird, ist die Firma meist am Ende und kein Geld mehr da."

Nach Zahlung von 30.000 Euro war bei Envoltec plötzlich niemand mehr zu erreichen

Einer der 850 geprellten Kunden der Firma Envoltec ist der Hauseigentümer Bernd Richter aus Hainichen bei Leipzig. Auch die Solarmodule auf seinem Dach sollten längst Strom erzeugen. Er wartet aber bis heute darauf. Dabei hat er bisher mehr als 30.000 Euro bezahlt: "Wir haben gezahlt, termingerecht, alles wie bei der ersten Rate, und haben auf die Reaktion des Unternehmens gewartet, und dann ging das ganze Theater erst so richtig los. Keiner war mehr zu erreichen." Auch der längst bezahlte Wechselrichter im Keller wurde nie geliefert und installiert. Er habe "ein gewisses Gefühl von Traurigkeit, aber mehr Wut", sagt der Hauseigentümer. – So ergeht es noch vielen anderen in den neuen Bundesländern. Es lässt sich nur hoffen, dass solche berechtigte Wut nicht die politische Blindheit verstärkt, mit der viele den Rattenfängern von der AfD ihre Stimme geben, die im Osten besonders erfolgreich auf Dummenfang geht ...

Mit 150 anderen Firmen teilt sich DDV einen Briefkasten in Zossen

Zuvor hatte das Magazin "Umschau" bereits über einen anderen Fall berichtet, bei dem die sächsische Firma DDV Dein Strom Direktvertrieb GmbH viele Kunden um ihr Geld betrogen haben soll. Der Beitrag begann mit der Suche nach dem Solarunternehmer Kevin K., dem die Firma gehört: Unter der angegebenen Adresse in Lübben im Spreewald war er nicht anzutreffen. Das Haus wirkte verlassen. Nachbarn sagten, sie hätten Kevin K. seit Wochen nicht mehr gesehen. Das Grundstück machte den Eindruck, als wäre da eine kleine Baufirma tätig. Man sah auch Paletten mit Solarmodulen und Zubehör. Die Firma teilte sich mit 50 anderen Firmen einen Briefkasten in Zossen (Brandenburg).

In Berlin entdeckte das Fernsehmagazin einen weiteren Briefkasten, den sich DDV mit noch weitaus mehr anderen Firmennamen teilte als in Zossen (siehe Foto). Ferner fand es einen Ex-Mitarbeiter, der auspackte: "Ich möchte andere Kunden warnen, dass sie nicht in dieselbe Falle tappen und dass der Inhaber fröhlich weiter dieses Geschäftsmodell so betreibt." Kevin K. war aber auch in Berlin nicht aufzutreiben. "Er arbeitet selten hier, sondern hauptsächlich von zuhause aus", lautete die einzige Auskunft.

Der Eigentümer verfügt im Handelsregister noch über sechs weitere Mini-Firmen

Kevin K. hat offenbar viel zu tun: Neben der Firma DDV verfügt er noch über sechs andere Unternehmen. Neben DDV Dein Strom Direktvertrieb GmbH betreibt er noch die Firmen KS Conduct GmbH, Entech Industries GmbH, D:eine Handwerker und Montage GmbH, ET-Salvus GmbH sowie zwei Firmen im Immobilien- und Handelssektor: Die All Around Immobilien Verwaltungs UG und die All Around Verwaltungs UG. (Die Rechtsform UG hat den Vorteil, dass für das haftende Stammkapital ein Euro genügt, während Kevin K. für die Handelsregister-Eintragungen seiner GmbH's jeweils den Mindestbetrag von 25.000 Euro aufwenden musste.)

Die ET-Salvus GmbH gibt Kevin K. als ihren Geschäftsführer an. Aber auch hier war er nicht zu fassen. Auf Anfrage des Fernsehmagazins antwortete das Unternehmen nur, dass es "keinerlei geschäftliche Beziehungen zu der von Ihnen angefragten Firma" unterhalte. Es ist stark zu vermuten, dass diese Auskunft von Kevin K. selber stammte. Er bestritt also geschäftliche Verbindungen zu einer Firma, die ihm selber gehört, und tat dabei auch noch so, als ob er diese gar nicht kennen würde...

Durch gute Bewertungen im Internet auf den Leim gelockt

Zu den Geschädigten gehört in Berlin Nikolaus Karsten, dessen Solaranlage zwar auf dem Dach liegt, aber nicht angeschlossen wurde: "Wir haben keine Erträge", beklagte er sich. "Das ganze Jahr Stromausfall: 56.000 Kilowattstunden, die nicht erzeugt wurden und für die wir auch das Geld nicht bekommen haben." Die Anlage müsse er nun auf eigene Kosten anschließen lassen. Der Schaden betrage insgesamt 13.000 Euro.

"Gute Bewertungen bei Google" hätten ihn damals überzeugt. Tatsächlich fanden sich in den häufig sehr sumpfigen Gefilden des Internets auch jetzt noch frische Einträge zur DDV mit fünf Sternen und Jubeltexten wie diesem: "Alles lief absolut perfekt... sowohl der Elektriker wie auch der Montagemann waren super nett und kompetent.... Ich kann DDV nur jedem Hausbesitzere empfehlen. Danke nochmals an das Team."

Gewerbeaufsicht hat nicht genug Personal, um gegen unseriöse Unternehmen vorzugehen

Zu den zahlreichen Kunden der Firma DDV, denen nach hohen Anzahlungen zwar Solarmodule geliefert, aber niemals installiert wurden, gehörte Konstanze Töpel aus der Nähe von Gera: "Ich bin erschüttert, persönlich verletzt und wütend", sagte sie dem MDR-Reporter. "Wir sind hier jemandem völlig auf den Leim gegangen". Sie hat zwar Strafanzeige gestellt, davon aber nichts mehr gehört. Auf Nachfrage wurde ihr gesagt, dass so etwas eben dauere. Nach Auskunft der Polizei wurden mindestens drei Strafanzeigen erstattet. Bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Potsdam ist aber bisher keine davon eingegangen. In Zossen, wo Kevin K. den eigenartigen Geschäftsbriefkasten der DDV unterhält und vier weitere seiner Firmen ihren Handelsregister-Sitz haben, könnte ihm die Gewerbeaufsicht wegen Unseriosität das Handwerk legen. Laut "Umschau" geht das aber nicht so einfach und vor allem nicht so schnell: "Durch einen Insider erfahren wir: Die Behörde kennt das Problem, hat aber kein Personal sich darum zu kümmern. Kevin K. kann also ungestört weitermachen."

Hausbesitzer musste selber aufs Dach klettern, um schwere Schäden zu verhindern

Der ostdeutsche MDR ist keineswegs die einzige regionale ARD-Anstalt, die über Abzocke und Betrügereien bei Solaranlagen berichtet. Der südwestdeutsche SWR nahm sich des Themas bereits am 12. September vorigen Jahres an: Die Sendung "Marktcheck" stellte einen Hausbesitzer aus Stuttgart vor, der nach dem Abdecken des Dachs von der Vertragsfirma im Stich gelassen wurde. Über ein Jahr lang war das Haus eingerüstet und mit einer Folie nur notdürftig abgedeckt. Er musste deshalb persönlich aufs Dach klettern und die Folie befestigen, damit nicht durch starken Wind und Regen schwere Schäden an der Bausubstanz entstanden. Dicht wurde das Dach erst wieder, nachdem er Handwerker gefunden hatte, die es mit Ziegeln belegten. Auch für alle anderen noch ausstehenden Arbeiten musste er neue Unternehmen mit der Ausführung beauftragen.

Vor allem die perfekte Machart des Internet-Auftritts imponierte dem Kunden

Hier begann das Drama damit, dass der Eigentümer und seine Frau beschlossen, ihr aus dem Jahr 1938 stammendes Eigenheim "energetisch sanieren" zu lassen. Im Internet stieß er dabei auf die Ein-Stein Kompetenzzentrum GmbH. Diese Firma warb mit dem Versprechen einer "Energiewende zuhause – alles aus einer Hand", die neben Dachsanierung und Dämmung auch die Anbringung von Solarmodulen umfasst. Letztlich habe ihn die perfekte Machart des Internet-Auftritts von der Seriosität der Firma überzeugt, sagt der Hausbesitzer. "Die Internet-Präsenz war auf einem ganz hohen Niveau, es wurde immer sehr schnell geantwortet, der Geschäftsführer und der Vertriebschef waren immer verfügbar." Außerdem habe es ein Referenzprojekt gegeben, zu dem die Schwiegereltern hinfuhren und ebenfalls einen positiven Eindruck hatten. Da der Gesamteindruck so gut schien, unterschrieben er und seine Frau einen Vertrag über die angebotene Komplettlösung zum Preis von 177.451,40 Euro. Davon sollten sie 80 Prozent anzahlen, also 155.000 Euro. Nachdem sie eine erste Tranche dieses Betrags überwiesen hatten, wurde sofort Material angeliefert, worauf sie auch den Rest zahlten, "denn man hat gesehen, da passiert etwas".

Wie sich später herausstellte, war diese Vorkasse-Leistung ein großer Fehler, weil die Firma eben keineswegs so seriös war wie ihr Kunde, der sich von der Perfektion des Internet-Auftritts täuschen ließ. Plötzlich ging auf der Baustelle kaum noch etwas voran. Und wenn der Kunde nun versuchte, mit der vorher so präsenten Geschäftsleitung Kontakt aufzunehmen, wurde er nur hingehalten. Schließlich erfuhr er, dass die Ein-Stein Kompetenzzentrum GmbH Insolvenz angemeldet habe.

Auch der Dachdecker ließ sich täuschen, bis ihm sein Auftraggeber 300.000 Euro schuldete

Ein Dachdeckermeister, der für die insolvente Firma viele Aufträge erledigte, war anfangs ebenfalls von deren Seriosität überzeugt: "Die ersten Rechnungen wurden innerhalb von zwei Wochen bezahlt, und daher hat man sich auch keine Sorgen gemacht." Nach einem halben Jahr blieben aber die ersten Zahlungen aus. Die Ein-Stein Kompetenzzentrum GmbH machte dafür Kunden verantwortlich, die angeblich ihre Rechnungen nicht bezahlt hätten. Immer wieder wurde der Dachdeckermeister mit dem Versprechen hingehalten, er bekomme sein Geld, sobald dieses oder jenes Projekt in Hamburg, Ulm oder woanders fertig würde. Am Ende schuldete ihm der Auftraggeber mehr als 300.000 Euro. Und auf den Baustellen traf er immer mehr verzweifelte Kunden. Zum Beispiel ein älteres Ehepaar, das schon seit sieben Monaten ein Gerüst um sein Haus stehen hatte, das innen überall mit Plastifolien ausgelegt war: "Die Frau hat auch geweint, und das ist bis heute noch nicht abgeschlossen." Er kannte bald 18 Kunden persönlich, deren Forderungen sich auf insgesamt mehr als zwei Millionen Euro beliefen.


Auf Klingeln öffnete niemand: Der Sitz der Ein-Stein Kompetenzzentrum GmbH in Oppenheim.


Das "Kompetenzzentrum" war eine alte Lagerhalle

Eine schriftliche Anfrage von "Marktcheck" an die insolvente Firma blieb unbeantwortet. Als ein Redakteur sich persönlich auf den Weg machte, stellte sich die Firmenadresse als eine alte Ladehalle in Oppenheim heraus. Auf Klingeln öffnete niemand. Einziger Kontakt war eine Mitarbeiterin, die durch ein gekipptes Fenster angesprochen werden konnte und den Frager abblitzen ließ: "Kein Termin? – Kein Interesse! Die sind jetzt auch auf einer Versammlung."

Die Redaktion bekam dann aber Finanzunterlagen der Firma aus dem Jahr 2022 zugespielt. Darin war von Umbuchungen der damaligen Geschäftsführerin die Rede, Barabhebungen und privaten Entnahmen, sowie Ausgaben für Tiernahrung, Tierarztrechnungen und einen Pferdeanhänger. Allein unter diesen Stichworten flossen 200.000 Euro vom Konto. Ferner erfuhr sie, dass inzwischen die Staatsanwaltschaft Koblenz wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung ermittelte.

 

Links (intern)

Zu mehr oder weniger unseriösen Praktiken im liberalisierten Energiemarkt (vor allem beim Vertrieb von Strom und Gas):

 

In der Rubrik "Hintergrund" wurden unseriöse Praktiken vor allem in diesen Artikeln beleuchtet: