Januar 2025

250104

ENERGIE-CHRONIK




Im Vergleich mit dem EZB-Leitzins, der von 2009 bis 2023 meistens bei null Prozent und darunter lag, waren die Eigenkapitalrenditen der Stromnetzbetreiber in den drei ersten Regulierungsperioden mehr als auskömmlich. Die Bundesnetzagentur wollte sie deshalb in der ab 2024 beginnenden vierten Regulierungperiode spürbar beschneiden, indem sie die Renditen für Neuinvestitionen auf 5,07 Prozent und für Bestandsanlagen auf 3,51 Prozent senkte. Dagegen klagten rund 900 Strom- und Gasnetzbetreiber vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Zunächst waren sie damit erfolgreich, bis der Bundesgerichtshof jetzt dieses Urteil aufhob.
Quellen: Bundesnetzagentur / Bundesbank

Stromnetzbetreiber scheitern mit Klagen auf höhere Eigenkapitalrenditen

Kurz vor Weihnachten hat der Bundesgerichtshof acht Musterentscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf aufgehoben, mit denen die Bundesnetzagentur verpflichtet wurde, den Stromnetzbetreibern für die gegenwärtige vierte Regulierungsperiode eine höhere Eigenkapitalverzinsung zu gewähren, als sie in einer Festlegung der Behörde vom 12. Oktober 2021 vorgesehen war. Geklagt hatten rund 900 Strom- und Gasnetzbetreiber. Das Oberlandesgericht Düsseldorf hatte diese Beschwerden zu insgesamt vierzehn repräsentativen Musterverfahren gebündelt, die es am 30. August 2023 zugunsten der Kläger entschied.

Über die Klagen der Gasnetzbetreiber wird am 25. Februar verhandelt

In einer mündlichen Verhandlung am 17. Dezember verwarf der Kartellsenat des Bundesgerichtshofs zunächst nur die acht Musterentscheidungen, mit denen den Stromnetzbetreibern eine höhere Eigenkapitalverzinsung zuerkannt wurde. Über die sechs Musterverfahren der Gasnetzbetreiber soll in einer weiteren Verhandlung am 25. Februar entschieden werden. Da es sich um sehr ähnliche Sachverhalte handelt, ist hier ebenfalls eine Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile zu erwarten.

Regulierungsbehörde hat Anspruch auf "Ermessensspielraum bei der Wahl der richtigen Bemessungsmethode"

Bisher gibt es zu diesen Entscheidungen des Kartellsenats keine offizielle Verlautbarung. Die entschiedenen Musterverfahren sind in der BGH-Datenbank auch noch nicht abrufbar. Immerhin bestätigte aber der Bundesgerichtshof gegenüber der Deutschen Presse Agentur (DPA) die Aufhebung der vorinstanzlichen Urteile, worauf der seit 13 Monaten schwächelnde Kurs der E.ON-Aktie noch etwas tiefer rutschte. Überrascht hat nicht nur die Aufhebung der Urteile, sondern auch die voraussichtliche Begründung: Laut DPA signalisierte in der mündlichen Verhandlung der Vorsitzende Richter Wolfgang Kirchhoff, dass der Bundesnetzagentur ein "Ermessensspielraum bei der Wahl der richtigen Bemessungsmethode" zustehe, der nicht durch ein Gericht untergraben werden dürfe.

Bundesnetzagentur bekam neue Kompetenzen, die ihr bisher vorenthalten wurden

Diese Bemerkung bezieht sich offenbar auf den neuen rechtlichen Stellenwert, den die Bundesnetzagentur erlangt hat, nachdem der Bundestag im November 2023 ihren Kompetenzbereich erweiterte und ihre Unabhängigkeit stärkte (231109). Die Reform kam auf Drängen der EU-Kommission (180705) und letztendlich durch eine im September 2021 ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zustande (210901).

Nach Feststellung der Luxemburger Richter wurden die 2009 in Kraft getretenen neuen EU-Richtlinien für die Binnenmärkte bei Strom und Gas (090401) durch die im Juni 2011 beschlossene Neufassung des Energiewirtschaftsgesetzes (110602) von der damals regierenden schwarz-roten Koalition in etlichen Punkten fehlerhaft in nationales Recht umgesetzt. Vor allem wurden Befugnisse, die das Unionsrecht den Regulierungsbehörden übertrug, durch den § 24 des Energiewirtschaftsgesetzes weiterhin auf den Verordnungsgeber verlagert.

Um die Verstöße gegen das EU-Recht rückgängig zu machen und die Kompetenzen der Bundesnetzagentur entsprechend zu erweitern, werden die einschlägigen Verordnungen nun bis Ende 2028 schrittweise außer Kraft gesetzt und durch Vorgaben der Bundesnetzagentur ersetzt. Im Zusammenhang damit startete die Bundesnetzagentur Anfang 2024 ein Konsultationsverfahren zur Weiterentwicklung der seit 2009 praktizierten "Anreizregulierung" (250108).

Die Regulierungsperioden dauern jeweils fünf Jahre, sind aber für Strom- und Gasnetze um ein Jahr versetzt

Nach § 3 der Anreizregulierungsverordnung (ARegV) dauern die Regulierungsperioden jeweils fünf Jahre. Für Gasnetze wurde jedoch die erste Regulierungsperiode durch § 34 Abs. 1a auf vier Jahre verkürzt. Beginn und Ende der Regulierungsperioden für Strom- und Gasnetze verschieben sich deshalb jeweils um ein Jahr: Für die Gasnetzbetreiber trat die vierte Regulierungsperiode bereits 2023 in Kraft und dauert bis 2027. Für die Stromnetzbetreiber dauert sie von 2024 bis 2028. Nach aktuellem Stand der Diskussion dürfte es anschließend zu einer Verkürzung der Laufzeiten auf drei Jahre kommen (250108).

Die zulässige Eigenkapitalverzinsung begrenzt von vornherein die Höhe der Rendite

Die Eigenkapitalverzinsung ist normalerweise eine fiktive rechnerische Größe, die von Unternehmen nachträglich anhand des erzielten Jahresüberschusses ermittelt wird, damit die Anteilseigner einschätzen können, wie sich ihre Kapitaleinlage gegenüber einer marktüblichen Verzinsung rentiert hat. Im Rahmen der "Anreizregulierung" dient sie jedoch einem anderen Zweck: Hier ist sie ein im voraus festgelegter Zinssatz, der für die jeweils fünf Jahre dauernden Regulierungsperioden die zulässige Rendite auf das Eigenkapital begrenzt. Diese Begrenzung ist notwendig, da es sich beim Netzbetrieb um ein konkurrenzloses "natürliches Monopol" handelt, dessen Gesamtkosten einschließlich der Renditen in die Netzentgelte eingehen und letztendlich von den Energieverbrauchern bezahlt werden müssen. Schon eine Erhöhung der zugestandenen Eigenkapitalrendite um ein Prozent bedeutet für die Stromverbraucher Mehrkosten im Bereich von einer Milliarde Euro – oder umgekehrt entsprechende Mehreinnahmen für die Netzbetreiber.

Für die ersten zwei Regulierungsperioden konnten sich die Netzbetreiber deutlich höhere Renditen sichern als zunächst geplant war

Die von der Bundesnetzagentur vorgesehene Eigenkapitalverzinsung stieß deshalb bisher immer auf hartnäckigen Widerspruch der Netzbetreiber, während die Energieverbraucher gegenüber der organisierten Lobby einen eher schwachen Stand hatten (siehe Links). Schon vor Beginn der ersten Regulierungsperiode endete dieser ungleiche Konflikt damit, dass die Bundesnetzagentur den Netzbetreibern deutlich höhere Eigenkapitalverzinsungen zugestand, als sie ursprünglich für angemessen gehalten hatte: Bei Neuinvestitionen waren es 9,29 statt 7,82 Prozent, und bei Bestandsanlagen 7,56 statt 6,37 Prozent (080710). Diese Nachgiebigkeit wiederholte sich dann vor Beginn der zweiten Regulierungsperiode: Auch hier verzichtete die Behörde schon im Konsultationsverfahren weitgehend auf die ursprünglich geplante Absenkung, obwohl der EZB-Leitzins inzwischen auf null gefallen war (111007).

Als die Bundesnetzagentur standhaft blieb, klagten die Netzbetreiber zweimal erfolgreich beim OLG Düsseldorf, unterlagen aber beim BGH in Karlsruhe

Bei der Festlegung der Eigenkapitalverzinsung für die dritte Regulierungsperiode wollte die Bundesnetzagentur aber nicht mehr mit sich handeln lassen, nachdem sie im Juli 2016 eine geplante Senkung der Sätze für Neuinvestitionen von 9,05 auf 6,91 Prozent und für Bestandsanlagen von 7,14 auf 5,12 Prozent angekündigt hatte. "Die gesunkenen Zinssätze spiegeln das derzeit geringe Zinsniveau an den Kapitalmärkten wider. Höhere Eigenkapitalrenditen im Netzbereich wären den Stromverbrauchern nicht vermittelbar", erklärte der damalige Behördenchef Jochen Homann (160709).

Die Branchenlobby sah das naturgemäß wieder anders und forderte mindestens einen Prozentpunkt mehr (160806). Die Bundesnetzagentur beließ es trotzdem bei der Festlegung (161004). Daraufhin beschritten die Netzbetreiber erstmals den Klageweg. Sie hatten damit zunächst auch Erfolg, indem das Oberlandesgericht Düsseldorf im März 2018 befand, dass die Rendite zu niedrig angesetzt worden sei. Anscheinend hielten die Richter den Betrieb und Ausbau von Stromnetzen für ein hochriskantes Geschäft, das durch einen entsprechend hohen "Wagniszuschlag" gewürdigt werden müsse. Der Bundesgerichtshof ließ sich von dieser Sichtweise allerdings nicht beeindrucken und hob das Urteil im Juli 2019 wieder auf (190710).

Einen ähnlichen Erfolg erzielten die Netzbetreiber mit ihren Klagen gegen die Festlegung zur bevorstehenden vierten Regulierungsperiode, die von der Bundesnetzagentur am 12. Oktober 2021 veröffentlicht wurde. Auch hier befand das Oberlandesgericht Düsseldorf am 30. August 2023, die Festlegung sei für Betreiber von Stromnetzen "materiell rechtswidrig, weil die Bundesnetzagentur es versäumt hat, die von ihr rechtsfehlerfrei anhand langfristiger historischer Datenreihen ermittelte Marktrisikoprämie – jedenfalls durch eine ergänzende Plausibilisierung – weiter abzusichern". Für Gasnetzbetreiber sei sie ebenfalls rechtswidrig, "weil die Bundesnetzagentur die Höhe des Zuschlags zur Abdeckung netzbetriebsspezifischer unternehmerischer Wagnisse im Sinne des § 7Abs.5 GasNEV rechtsfehlerhaft ermittelt hat".

Der EZB-Leitzins lag zehn Jahre lang bei null Prozent und darunter

Zumindest psychologisch bekamen die Kläger dabei starken Rückenwind durch den plötzlich wieder steigenden EZB-Leitzins. Dieser war im Juli 2012 auf null Prozent gesunken und dann mit bis zu minus 0,50 Prozent zu einem reinen Strafzins geworden. Nun erreichte er im Juli 2022 – also neun Monate, nachdem die Bundesnetzagentur ihre Festlegung veröffentlicht hatte – wenigstens wieder die Null-Prozent-Grenze. Als das Oberlandesgericht Düsseldorf dann den Klagen der Netzbetreiber stattgab – das war weitere dreizehn Monate später –, lag er zum ersten Mal seit 23 Jahren wieder bei 3,75 Prozent. Im darauffolgenden Monat erreichte er mit 4,0 Prozent sogar einen bislang unerreichten Höhepunkt. Seit Juni 2024 sinkt er allerdings schon wieder und ist aktuell bei 3,0 Prozent angelangt.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf vermied es indessen, die Ungültigkeit der vor knapp zwei Jahren getroffenen Festlegung auch mit dem inzwischen deutlich günstigeren Zinsumfeld zu begründen. Es stellte vielmehr fest, dass die Änderung der EZB-Zinspolitik zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht absehbar gewesen sei. Deshalb habe sie von der Bundesnetzagentur auch nicht berücksichtigt werden können. Ob und in welcher Weise sie nun im Rahmen der aktuellen Urteilsfindung dennoch zu berücksichtigen sei, könne jedoch offen bleiben da die Bundesnetzagentur aus anderen Gründen ohnehin zur Revision ihrer Festlegung verpflichtet werde. Dabei habe sie dann neben den beanstandeten Mängeln auch die inzwischen eingetretene Veränderung des Zinsniveaus zu beachten.

So sah alles nach einem weiteren Erfolg der Netzbetreiber aus, bis der Bundesgerichtshof am 17. Dezember zumindest den Stromnetzbetreibern erneut einen unerwarteten Strich durch die Rechnung machte. Und wahrscheinlich wird es den Gasnetzbetreibern am 25. Februar ähnlich ergehen.

Schon seit einem Jahr gilt für Neuinvestitionen eine verbesserte Eigenkapitalverzinsung

Trotzdem bedeutet die Aufhebung des Düsseldorfer Urteils durch den Bundesgerichtshof nicht, dass es nun tatsächlich beim Beschluss der Bundesnetzagentur vom 12. Oktober 2021 bleibt, die Neuinvestitionen von bisher 6,91 auf 5,07 Prozent und für Bestandsanlagen von 5,12 auf 3,51 Prozent zu senken. Die Bundesnetzagentur hat inzwischen nämlich selber festgestellt, dass ihr vor über drei Jahren getroffener Beschluss infolge des Anstiegs des EZB-Leitzinses und anderer Faktoren ergänzungsbedürftig geworden ist.

Schon vor einem Jahr veröffentlichte die Behörde dazu eine neue Festlegung, die nach zwei Konsultationsrunden mit Netzbetreibern und Netzkunden zustande kam. Um unvorhergesehene und aufgrund des aktuellen Umfelds notwendig gewordene Netzinvestitionen zu fördern, legte sie eine neue Berechnungsweise für den Eigenkapitalzins von Neuinvestitionen fest. Faktisch wird es dadurch für den Rest der Regulierungsperiode kaum noch Abstriche gegenüber der früher geltenden Eigenkapitalverzinsung von 6,91 Prozent geben. Unter Umständen könnte die Rendite sogar etwas höher ausfallen. Unverändert gültig bleiben soll nur die Absenkung der Eigenkapitalverzinsung für Bestandsanlagen auf 3,51 Prozent.


Links (intern)

zur Unabhängigkeit der Bundesnetzagentur

zur Festlegung der Eigenkapitalrenditen für Netzbetreiber