Februar 2003

030202

ENERGIE-CHRONIK


Kartellamt ordnet erstmals Senkung von Netznutzungsentgelten an

Das Bundeskartellamt hält die Netznutzungsentgelte der E.ON-Tochter Thüringer Energie AG (Teag) weiterhin für mißbräuchlich überhöht und hat dem Unternehmen Abstriche auferlegt, die den bisherigen Erlös um etwa zehn Prozent mindern. Die Entscheidung wurde für sofort vollziehbar erklärt. Vorausgegangen war ein Abmahnschreiben vom 13. Dezember 2002 (021207) sowie eine öffentliche Anhörung am 15. Januar 2003. Es handelte sich um die erste Mißbrauchsverfügung, seitdem das Amt vor einem Jahr entsprechende Verfahren gegen insgesamt zehn regionale und kommunale Netzbetreiber eingeleitet hat (020102). Zusammen mit der wenige Tage später erlassenen Mißbrauchsverfügung gegen die überhöhten Meß- und Verrechnungspreise von RWE Net (030203) und dem neuen Mißbrauchsverfahren gegen RWE und E.ON wegen der Preise für Regelenergie (030204) hat die Kartellaufsicht damit sowohl die Angemessenheit der Netznutzungskosten im Einzelfall wie auch die Preisfindungsprinzipien der Verbändevereinbarung Strom in Frage gestellt und den Gegnern der vom Bundestag bereits beschlossenen Verrechtlichung der Verbändevereinbarung ( 030201) den Rücken gestärkt.

Behörde stellt Teile des Kalkulationsleitfadens in Frage

Das Kartellamt stützt seine am 19. Februar bekanntgegebene Entscheidung auf eine Überprüfung der Kostenkalkulation der Teag. Für unzulässig hält es beispielsweise die Einkalkulierung einer Eigenkapitalverzinsung auf der Basis von Tagesneuwerten und die Berechnung eines "Wagniszuschlags", wie er im Kalkulationsleitfaden zur Verbändevereinbarung II plus den Netzbetreibern als Ausgleich für ihr "unternehmerisches Risiko" zugebilligt wird. Außerdem habe die Teag dem Netz Werbekosten zugeordnet, was eine Quersubventionierung zugunsten des Vertriebs bedeute.

Laut Kartellamtspräsident Ulf Böge machte seine Behörde erstmals von der gerichtlich bestätigten Möglichkeit Gebrauch, die Kostenkalkulation des betroffenen Unternehmens zu überprüfen. Sie orientiert sich damit nicht am sogenannten Vergleichsmarktkonzept, wie es die Verbändevereinbarung zur groben Kenntlichmachung von möglicherweise überhöhten Netznutzungsentgelten vorsieht (020902, 021208), sondern stellt den sogenannten Kalkulationsleitfaden (020408) in Frage, der als Anlage 3 der Verbändevereinbarung II plus die Prinzipien der Preisfindung für die Netznutzung regelt.

E.ON will mehr als fünf Prozent Verzinsung

Die E.ON Energie erklärte dazu, daß die Teag ihre Netznutzungsentgelte auf der Grundlage der Verbändevereinbarung II plus (011203) kalkuliert habe. Die Kritik des Kartellamts an einzelnen Bestandteilen des Kalkulationsleitfadens sei "ohne erkennbare betriebswirtschaftliche Logik". Sie konterkariere die Verhandlungsergebnisse der Verbändevereinbarung und richte sich "unmittelbar gegen den politisch gewollten Weg in Deutschland". Die vom Kartellamt im Ergebnis zugestandene Verzinsung in Höhe von etwa fünf Prozent sei zu niedrig, um das notwendige Kapital für Netzinvestitionen lockerzumachen. Sie werde zu einem "faktischen Stopp für Erneuerungs- und Instandhaltungsinvestitionen führen mit nicht absehbarem Arbeitsplatzabbau vor allem bei mittelständischen Zulieferern". Die Teag werde deshalb Beschwerde gegen die Verfügung einlegen und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragen.

VKU attackiert Bundeskartellamt

"Diese Entscheidung rüttelt an den Grundlagen deer Energiemarktliberalisierung in Deutschland, die geprägt ist durch das System der Verbändevereinbarung", erklärte der Präsident des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU), Gerhard Widder, am 21. Februar nach einer Vorstandsvorsitzung seines Verbands in Berlin. Durch die Infragestellung des Kalkulationsleitfadens lasse das Kartellamt das deutsche Modell des verhandelten Netzzugangs ins Leere laufen. Wenn es jetzt nicht zur Verrechtlichung der Verbändevereinbarung komme, hätten weitere Verhandlungen über neue Vereinbarungen für die Stadtwerke keinen Sinn mehr.

EnBW attackiert den VKU

Der Vorstandsvorsitzende der Energie Baden-Württemberg (EnBW), Gerhard Goll, wies die Stellungnahme des VKU-Präsidenten als "decouvrierend" und als "Treppenwitz" zurück: Widder riskiere, nicht mehr ernst genommen zu werden, wenn er allen Ernstes behaupte, daß das Kartellamt mit seiner ersten Mißbrauchsverfügung an den Grundlagen der Energiemarktliberalisierung rüttele. Umgekehrt werde ein Schuh daraus: Das wettbewerbswidrige Verhalten vieler Netzbetreiber habe die Energiemarktliberalisierung in Deutschland nahezu ad absurdum geführt. Gerade der VKU habe in der Vergangenheit systematisch in dieser Richtung gearbeitet. Sein jetziges Verhalten zeuge nur von der Notwendigkeit einer staatlichen Regulierung des Netzbereichs.

VDEW verteidigt Preisfindungsprinzipien

Der Verband der Elektrizitätswirtschaft (VDEW) verteidigte die Preisfindungsprinzipien, wie sie in der Anlage 3 der Verbändevereinbarung II plus enthalten sind, und forderte erneut eine möglichst rasche Verrechtlichung der Verbändevereinbarung im Zuge der anstehenden Novellierung des Energierechts. Der Kalkulationsleitfaden orientiere sich an der üblichen Praxis der Industrie und basiere "auf einem geschlossenen betriebswirtschaftlichen System", sagte VDEW-Hauptgeschäftsführer Eberhard Meller. Wer Teile davon wie die angemessene Verzinsung von Netzinvestitionen in Frage stelle, gefährde nicht nur die Verbändevereinbarung, sondern auch die Versorgungssicherheit.

Neue Stromanbieter erhoffen Scheitern der Verrechtlichung

Dagegen begrüßte der unabhängige Stromanbieter "Lichtblick" das Vorgehen der Behörde als "Meilenstein im Liberalisierungsprozeß". Wichtiger als der Einzelerfolg gegen die Teag sei dabei, daß das Amt die Kalkulationsgrundlage der Netzbetreiber in Frage stelle, die zu systematisch überhöhten Durchleitungsgebühren führe. Damit werde auch die Verrechtlichung der Verbändevereinbarung, wie sie der Bundestag fünf Tage zuvor beschlossen hatte ( 030201), ad absurdum geführt, meinte Lichtblick-Geschäftsführer Heiko von Tschischwitz.

Mit der Missbrauchsverfügung des Bundeskartellamtes sei die Vermutungswirkung einer "guten fachlichen Praxis", wie sie die Verrechtlichung der Verbändevereinbarung im neuen Energiewirtschaftsgesetz vorsieht, nachhaltig erschüttert, erklärte der Bundesverband Neuer Energieanbieter (BNE). Nun sei endgültig bewiesen, dass der Kalkulationsleitfaden der Verbändevereinbarung zu mißbräuchlich überhöhten Netznutzungsentgelten führe. Eine gesetzliche Verankerung dieser Preisfindungsprinzipien sei damit gescheitert. Der BNE vertritt seit September 2002 die Interessen von Stromvertriebsfirmen, die über keine eigenen Netze verfügen (021013).

Beschwerdebrief der Netzbetreiber

Laut "Spiegel" (17.2.) hat der Verband der Netzbetreiber (VDN) in einem Schreiben an das Bundeswirtschaftsministerium eine Zurechtweisung des Kartellamts gefordert, weil es sich in die von den Verbänden der Stromwirtschaft vereinbarten Preisfindungsprinzipien einmische. Dieses Vorgehen gefährde die Branche und bedürfe - "außerhalb einer öffentlichen Anhörung" - einer schnellen und diskreten Klärung, heiße es in dem Schreiben vom 22. Januar an den Staatssekretär Georg-Wilhelm Adamowitsch (SPD).   

FAZ plädiert für Ex-Ante-Regulierer

Die "Frankfurter Allgemeine" (20.2.) bemerkte zum Vorgehen des Bundeskartellamts gegen die Teag: "Die Entscheidung illustriert, warum die derzeitige gesetzliche Regelung der Netzregulierung nicht länger haltbar ist. Wenn der Gesetzgeber die Industrie die Entgelte qua Verbändevereinbarung selbst festsetzen läßt und dann das Kartellamt hinterher schickt, kann nur Murks herauskommen. Ein Ex-ante-Regulierer könnte zwar auch keine 'richtigen' Endpreise bestimmen. Er könnte aber zumindest das Verfahren der Preissetzung von vornherein festlegen. Im Vergleich zur Ex-post-Kontrolle ist dies das kleinere Übel."

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