Dezember 2015

151210

ENERGIE-CHRONIK


 

Nach dem Börsenstart Ende 2005 stieg der Kurs der EDF-Aktie binnen zwei Jahren um mehr als das Zweieinhalbfache. Inzwischen liegt er um das Zweieinhalbfache unter dem Ausgabekurs.

EDF fliegt aus dem französischen Aktienindex

Die Börse Euronext beschloß am 7. Dezember, daß die Electricité de France (EDF) nicht mehr die Bedingungen erfüllt, um im französischen Aktienindex CAC 40 gelistet zu werden. Der riesige Energiekonzern, der 160.000 Menschen beschäftigt und im vergangenen Jahr einen Umsatz von 73 Milliarden Euro erzielte, ist deshalb seit 21. Dezember nicht mehr im Leitindex der vierzig führenden französischen Aktiengesellschaften vertreten. Seinen Platz nimmt jetzt eine Investmentgesellschaft ein, die sich auf Einkaufszentren spezialisiert hat.

Schon bisher war die EDF an der Börse ein Leichtgewicht. Unter den vierzig Unternehmen des CAC 40 rangierte sie erst an 36. Stelle und wurde mit nur 0,73 Prozent des Leitindexes gewichtet (während der Energiekonzern Total an erster Stelle stand und 12,84 Prozent zur Gewichtung beisteuerte). Der Grund für diese schwache Position war, daß nur ein geringer Teil der EDF-Aktien theoretisch für den Handel zur Verfügung stand und noch weniger tatsächlich an die Börse gelangten.

Für die Börse sind nur etwa drei Prozent aller EDF-Aktien relevant

Der frühere Staatsbetrieb EDF wurde 2004 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt (040604) und Ende 2005 teilprivatisiert (041105). Der Staat behielt jedoch 84,5 Prozent der Aktien. Von den restlichen 15,5 Prozent entfallen 1,7 Prozent auf Belegschaftsaktien (die zum Vorzugspreis ausgegeben wurden), 2,8 Prozent auf private Kleinanleger und 0,1 Prozent auf Eigenbesitz. Der Rest von 10,9 Prozent gehört institutionellen Anlegern, die ihre Papiere zum großen Teil als langfristige Kapitalanlage erworben haben. Für den Handel an der Börse sind wahrscheinlich nur etwa drei Prozent aller Aktien relevant.

Dies wurde der EDF nun zum Verhängnis, als ihre Aktie einen neuen Tiefstand erreichte und bis unter 13 Euro fiel. Entsprechend verringerten sich die Marktkapitalisierung und die ohnehin geringe Bedeutung des Unternehmens für den Leitindex CAC 40. Unter Berücksichtigung aller 1,86 Milliarden Aktien, die nicht dem Staat gehören und tatsächlich an der Börse gehandelt werden könnten, ergab sich Anfang Dezember für die EDF eine Marktkapitalisierung von 23,4 Milliarden Euro. Gegenüber dem Monat April bedeutete das einen Wertverlust um die Hälfte. Der Ausgabewert vom November 2005 war auf 40 Prozent zusammengeschmolzen. Im Vergleich mit dem Ende 2007 erreichten Höchststand waren es sogar nur noch 15 Prozent. Der wissenschaftliche Ausschuß der Euronext, der die Auswahl der Unternehmen alle Vierteljahre überprüft, strich deshalb die EDF von der Liste und gab unter Berücksichtigung aller Kriterien der Investmentgesellschaft Klépierre den Vorzug, obwohl deren rechnerische Marktkapitalisierung eher noch geringer ausfiel.

Aus der vermeintlichen Goldgrube KKW-Neubau wurde eine schwere Belastung

Bei der ersten Notierung an der Pariser Börse wurde die EDF-Aktie am 21. November 2005 mit 32 Euro bewertet. Sie kletterte dann binnen zwei Jahren bis auf 85,7 Euro. Vor dem Hintergrund der geplanten Erneuerung des französischen Kernenergie-Kraftwerksparks (040503, 041006) schien die EDF-Aktie eine sichere Bank zu sein, zumal der französische Präsident Sarkozy dann auch noch eine Kampagne für den Export der französischen Nukleartechnologie startete (070702, 071112, 080508, 080910). Es war die Zeit, als die EDF ihren Einfluß bei der Energie Baden-Württemberg ausbaute (060310) und sogar Gerüchte über eine geplante Übernahme des RWE-Konzerns umgingen (070503).

Diese Euphorie hielt aber nicht lange an. Schon 2008 ging es wieder abwärts, obwohl die EDF ein Gemeinschaftsunternehmen für den Bau von zwei EPR-Reaktoren in China gründete (080808), den britischen Atomstromproduzenten BE kaufte (080903) und beim US-Kernkraftwerksbetreiber Constellation Energy einstieg (081214). Immer deutlicher zeigte sich, daß der Europäische Druckwasserreaktor (EPR), mit dem das Schwesterunternehmen Areva in Finnland nicht zu Rande kam (090909), auch für die EDF weniger eine Goldgrube als ein finanzielles Desaster sein würde (091105). Auf der Baustelle des ersten französischen EPR in Flamanville (041006) ging es nicht so voran, wie man sich das vorgestellt hatte. Beim zweiten EPR in Penly, der 2012 in Angriff genommen werden sollte (090105), kam es nicht einmal zum Baubeginn.

Die unbedacht angehäuften Kosten begannen der EDF davonzulaufen. Als der EDF-Chef Pierre Gadonneix deshalb im Juli 2009 eine Strompreiserhöhung um 20 Prozent verlangte und andernfalls eine Reduzierung der Investitionen androhte (090715), wurde aber schnell klar, wer bei der teilprivatisierten EDF noch immer und ausschließlich das Sagen hatte: Die Regierung, die nichts mehr fürchtete als den Zorn der Wähler. Gadonneix mußte abtreten und die Führung des Unternehmens dem früheren Veolia-Chef Henri Proglio überlassen (091017). Dieser versuchte nun, die EDF auf andere Weise zu sanieren. Sein Rezept wäre aber zu Lasten des Nuklearkonzerns Areva gegangen. Es kam deshalb zu einem bizarren Streit zwischen den beiden staatlichen Schwesterunternehmen, bei dem weder die verantwortlichen Politiker noch die von ihnen eingesetzten Spitzenmanager eine gute Figur machten (siehe 100112 und Hintergrund Juli 2015).

Trotz seiner enormen Kernkraft-Kapazitäten litt Frankreich immer wieder unter Stromknappheit

Zu allem Überfluß stellte sich auch noch heraus, daß die EDF mit ihrem Ausflug ins US-amerikanische Atomgeschäft fast zwei Milliarden Euro in den Sand gesetzt hätte. Mit Hohn und Spott reagierten die französischen Bürger auf die Unfähigkeit ihrer antiquierten Eliten. Beispielsweise hieß es in einer Leser-Zuschrift an die konservative Zeitung Le Figaro: "Sie sollten sich lieber mit den französischen Netzen befassen, um die Pannen und Stromausfälle einzudämmen, die seit der Privatisierung Legion geworden sind. Ich bin nicht bereit, höhere Strompreise zu bezahlen, damit sie den Zauberlehrling auf Märkten spielen können, die ihre bisher einwandfreie Finanzlage aus dem Gleichgewicht zu bringen drohen. Es sind wir, die französischen Verbraucher, die für diese Verirrungen aufkommen müssen." (101010)

Tatsächlich litt Frankreich alle Jahre wieder unter Stromknappheit, wenn ein Kälteeinbruch den Stromverbrauch in die Höhe schießen ließ (101207). Die Preise am französischen Spotmarkt schossen dann ebenfalls in schwindelerregende Höhen (091202). Das lag freilich weniger an der Liberalisierung, die bisher um Frankreich eher einen Bogen gemacht hatte. Der Hauptgrund waren die strukturellen Schwächen der französischen Stromversorgung mit ihrer einseitigen Ausrichtung auf die Kernenergie. Die insgesamt 58 französischen Reaktoren hatten zwar eine imposante Leistung, die rechnerisch zur Bedarfsdeckung mehr als ausreichte und Frankreich zum führenden Stromexporteur Europas machte. Es fehlte aber seit jeher an ausreichender Kraftwerkskapazität zur Abdeckung von Mittel- und Spitzenlast. Die Kernkraftwerke wurden deshalb auch zum Ausgleich von Schwankungen der Mittellast herangezogen. Die Folge waren ein höherer Verschleiß und Wartungsbedarf. Ende 2009 waren deshalb just zum Zeitpunkt des Kälteeinbruchs zehn Kernkraftwerke außer Betrieb.

Von Brüssel diktierter Wettbewerb bewirkte Anstieg der Strompreise

So richtig ungemütlich wurde es für die französischen Stromverbraucher aber erst, als die Liberalisierung tatsächlich zu greifen begann. Unter massivem Druck der EU-Kommission, die dem französischen Modell des "service public" noch nie etwas abgewinnen konnte (030707), trat 2011 ein Gesetz zur Neuorganisierung des Strommarktes in Kraft. Es lief auf kräftige Preiserhöhungen für Haushalts- und Industriekunden hinaus. Bisher hatte das alte Marktmonopol der EDF, das es offiziell nicht mehr geben durfte, faktisch weiterhin bestanden, da kein anderes Unternehmen in der Lage war, Haushalts- und Industriekunden mit derart niedrigen Strompreisen zu versorgen. Die EDF wurde deshalb gesetzlich verpflichtet, einen Teil ihres billig erzeugten Atomstroms an andere Unternehmen zu verkaufen. Der Preis für diesen Verkauf war vorgeschrieben und so niedrig angesetzt, daß es für die EDF ruinös gewesen wäre, die Konkurrenten weiterhin unterbieten zu wollen (110203).

Der von Brüssel diktierte "Wettbewerb" bewirkte so kein Sinken, sondern ein Steigen des Preisniveaus. Prompt ist es dann auch gelungen, die Stromrechnungen der französischen Kleinverbraucher von 2010 bis 2015 um 35 Prozent zu erhöhen, während die Industriestrompreise sogar um 40 Prozent gestiegen sind (151101). Und sie werden sicher noch weiter steigen. Unter den neuen Rahmenbedingungen hat nicht nur die EDF selber ein vitales Interesse an höheren Strompreisen. Auch ihr staatlicher Eigentümer ist auf den Geschmack gekommen. Den Wählerzorn braucht die Regierung umso weniger zu fürchten, je mehr sie sich aus der Preisregulierung zurückzieht.

 

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